Der Letzte der Ungerechten

Eine Filmkritik von Festivalkritik Cannes 2013 von Beatrice Behn

Dem Grauen und den Zwischentönen Raum lassen

Eines ist klar: die Aufarbeitung des Holocausts ist noch lange nicht beendet und es besteht noch immer Bedarf daran Film als Medium der Vermittlung desselbigen zu benutzen. Einer der unermüdlichen Filmemacher, die ihr Leben dieser einen Sache gewidmet haben, ist Claude Lanzmann. Sein Großwerk Shoah wurde 2013 noch einmal bei der Berlinale aufgeführt und so ist es letztlich nur konsequent, dass sein neuer Film Der Letzte der Ungerechten auf der Berlinale 2014 zur Aufführung kommt, nachdem der Film bereits in Cannes gezeigt worden war.
Lanzmann, inzwischen 87 Jahre alt, ist aber noch immer nicht fertig mit seiner Arbeit. Im Jahre 1975 gelang es ihm in Rom Benjamin Murmelstein zu interviewen. Murmelstein ist der einzige „Judenälteste“, der den Holocaust überlebte und war Ende des Krieges im Konzentrationslager Theresienstadt Vorsitzender des Judenrates. Das Thema der Judenräte und Judenältesten ist eine sehr komplexe Angelegenheit, die Lanzmann aus seinem Großwerk herausließ — vor allem aus der Angst heraus, ihr nicht im Geringsten gerecht werden zu können. Denn durch ihre eigenartige Sonderposition zwischen Nazis und Juden nahmen die Judenältesten eine sehr ambivalente Stellung ein. Alle von ihnen wurden letztlich hingerichtet, Murmelstein selbst rettete der Umstand, dass er dem Organisator der Massenvernichtung Adolf Eichmann nützlich war, da dieser durch Theresienstadt gute Geldeinnahmen erzielte.

Murmelsteins Geschichte ist einer von vielen Zeugenberichten der Ereignisse. Lanzmann geht mit seiner Kamera auch an die Orte des Geschehens zurück: Wien, Nisko (Polen) und Theresienstadt. Dort steht der inzwischen betagte aber keineswegs müde gewordene große Mann an den Orten der Greueltaten und liest aus Murmelsteins Buch, in dem in Einzelheiten die Ereignisse beschrieben werden. Wie zum Beispiel die Morde an den anderen beiden Judenältesten des Ghettos. Viel Zeit lässt sich Lanzmann, er gibt dem Wahnsinn den Raum, den er braucht sich in der Imagination des Zuschauers auszubreiten und zu einem Bild zu werden — ein Bild, welches nur durch den Ort und durch Lanzmanns Stimme entsteht. Keine Computergrafiken oder Animation, kein Nachspielen der Szenen. Nur Lanzmann und die Würde seines Vortrages.

Es gibt in der Filmwissenschaft und auch unter Filmemachern immer wieder die Frage wie man etwas so Ungeheuerliches und Unbegreifliches wie den Holocaust überhaupt darstellen kann. In welcher Art, auf welche Weise sollte man es tun? Einzelfälle schildern? Filme wie Schindler’s Liste drehen? Der Letzte der Ungerechten ist ebenso wie Shoah eine gute Antwort auf diese Frage. Doch auch Murmelstein selbst trägt viel dazu bei. Vor allem weil weder Murmelstein, noch Lanzmann ein Blatt vor den Mund nehmen. So wird nicht in die üblichen Kategorien von „armer Jude“ und „böser Nazi“ unterteilt, so bleiben Moral und Apologetisches außen vor und die Ambivalenz der Situationen und Entscheidungen wird auf den Tisch gelegt. Denn einerseits hat Murmelstein vielen Juden dabei geholfen auszureisen und zu überleben, andererseits hat er auch Entscheidungen getroffen, die andere das Leben gekostet haben. Seine Zwischenposition macht ihn nicht zu einem Opfer, denn in gewisser Weise hat er ja das Regime unterstützt und ihm zugearbeitet und ja, in gewisser Weise sich daran auch bereichert. Mit Macht, mit kleinen und großen Privilegien…

(Festivalkritik Cannes 2013 von Beatrice Behn)

Der Letzte der Ungerechten

Eines ist klar: die Aufarbeitung des Holocausts ist noch lange nicht beendet und es besteht noch immer Bedarf daran Film als Medium der Vermittlung desselbigen zu benutzen. Einer der unermüdlichen Filmemacher, die ihr Leben dieser einen Sache gewidmet haben, ist Claude Lanzmann.
  • Trailer
  • Bilder

Meinungen