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Oft haben Literaturverfilmungen etwas von einer Serviceleistung: Statt ein Buch zu wälzen kann man sich als Zuschauer_in einfach der komprimierten Bewegtbild-Version hingeben, in welcher (im reizlosesten Fall) die wichtigsten Stationen der Geschichte abgehakt werden, sodass man fortan über den Inhalt – die zentralen Figuren und Konflikte – mitreden kann.

Axolotl Overkill (2017)

Eine Filmkritik von Andreas Köhnemann

Bäm!

Oft haben Literaturverfilmungen etwas von einer Serviceleistung: Statt ein Buch zu wälzen kann man sich als Zuschauer_in einfach der komprimierten Bewegtbild-Version hingeben, in welcher (im reizlosesten Fall) die wichtigsten Stationen der Geschichte abgehakt werden, sodass man fortan über den Inhalt – die zentralen Figuren und Konflikte – mitreden kann. Die besondere Stimmung des Romans, die sich einem beim Lesen vermittelt, geht dabei indes ebenso verloren wie die Eigenständigkeit und Kraft des Kinos. Zu den Ausnahmen dieser drögen Beziehung zwischen Literatur und Kinematografie zählt etwa die Adaption von William S. Burroughs‘ Naked Lunch: David Cronenbergs furiose Leinwand-Bearbeitung „erspart“ uns die Rezeption der Vorlage nicht, da sie keine akkurate Umsetzung des Textes ist; vielmehr ist sie ein Weiterdenken und -spinnen, ein ganz neuer, visueller Zugriff auf die Themen der Erzählung. In dieser Tradition – und, vor allem, in dieser qualitativen Liga – muss auch „Axolotl Overkill“ gesehen werden.

Die 1992 geborene Helene Hegemann hat ihr 2010 veröffentlichtes Werk Axolotl Roadkill selbst als Drehbuchautorin und Regisseurin adaptiert – und es dabei geschafft, Sprachgewalt in Bildgewalt zu übersetzen. Einen Satz wie „Ich erinnere mich an die Zeit, in der ich bei gutem Wetter etwas anderes gemacht habe als die Jalousien runter“ oder eine Selbstbeschreibung wie „Diese junge Frau spielt geschmeidig auf der Klaviatur der Elemente wie eine Gazelle mit Panzerfaust“ kann man in einer Verfilmung via Voice-over einsprechen lassen oder in einen Dialog einbauen – man kann aber auch, wie Hegemann und ihre fabelhafte Hauptdarstellerin Jasna Fritzi Bauer es machen, audiovisuelle Mittel sowie Blicke und Gesten finden, die diesen Worten an Witz und Verve ebenbürtig sind und uns so auf völlig anderem, nicht weniger interessantem Wege etwas sehr Ähnliches erzählen und spüren lassen.

Wie bereits der Roman, der zunächst als Sensation gehandelt wurde, ehe es zu Plagiatsvorwürfen kam, ist Axolotl Overkill von Ambivalenzen durchzogen und dadurch eine echte Herausforderung: Hart-Vulgäres und Feinsinnig-Zärtliches, Fröhlich-Exzessives und Traurig-Deprimierendes, die tiefe, wahrhaftige Empfindung und die schroffe, distanzierte Fuck-you-all-Attitüde stehen hier niemals nebeneinander; alles ist stets zwingend und untrennbar miteinander verwoben – ebenso wie Realität und Schimäre, Liebe und Verachtung, der (Drogen-)Rausch und die Ernüchterung. Das eine ist im anderen immer schon enthalten. Die psychischen Probleme der 16-jährigen Protagonistin Mifti werden von Hegemann und Bauer ernst genommen, ohne jemals in den Gestus eines Betroffenheitsstückes und in Didaktik zu verfallen. Geschildert wird eine Coming-of-Age-Story, in welcher die konventionelle Entwicklung, das Reifen ausbleibt. Etliche Szenen sind unfassbar lustig – dennoch läge man mit der Bezeichnung „Teenie-Komödie“ gänzlich daneben. Gewiss ist Axolotl Overkill ein Berlin-Film. Er ist ein Experiment, das es sich erlaubt, einfach mal dem Vibe eines Songs, der Erhabenheit einer Tanzeinlage oder der Eleganz eines Pinguins zu folgen und alles andere vorübergehend zu vergessen. Die Bilder, die Hegemann und ihr Kameramann Manuel Dacosse (Amer) für dieses Driften, für die Rastlosigkeit wie auch für die Mir-doch-egal-Haltung Miftis finden, sind eine Wucht.

Nicht minder beeindruckend ist die Art und Weise, in welcher die Beziehungen zwischen Mifti und ihren Mitmenschen illustriert und schauspielerisch interpretiert werden – etwa das Verhältnis zum verwitweten, egomanen Vater (Bernhard Schütz), zu den Halbgeschwistern (Laura Tonke und Julius Feldmeier), zum wankelmütigen C-Promi Ophelia (Mavie Hörbiger) oder zur enigmatischen Gangsterbraut/Familienmutter Alice (Arly Jover), die für Mifti zum Objekt der Begierde wird. In Bezug auf Jasna Fritzi Bauer (Ein Tick anders, Scherbenpark, About a Girl) könnte man meinen, dass man sie inzwischen doch einmal zu oft als exzentrische Jugendliche auf der Leinwand gesehen hat – und dass die 1989 geborene Schauspielerin eigentlich schon zu alt für die Rolle ist. Aber dem ist ganz und gar nicht so: Man spürt, wie Bauer die Aussagen und Handlungen Miftis nicht nur gekonnt abliefert, sondern sie mitdenkt und -fühlt. Obendrein passt die Diskrepanz zwischen Bauers realem und ihrem Spielalter natürlich perfekt zu einer Figur, die nicht erwachsen werden will. An Bauers Seite zeigt Laura Tonke nach ihrer Darbietung in Mängelexemplar erneut, wie man aus einem relativ kleinen Part etwas sehr Großes machen kann; und auch Mavie Hörbiger präsentiert eine herrlich exaltierte Paradeleistung. Müsste man das Rundum-Gelingen von Axolotl Overkill in einem Wort zusammenfassen, dann wäre es: Bäm!

Axolotl Overkill (2017)

Mifti, 16, Schulschwänzerin, lebt mit ihren beiden Geschwistern in einer WG in Berlin und wankt zwischen Partys, sexuellen und drogenreichen Abenteuern. Ihre Gedanken und Gefühlen zu dem konfusen Leben schreibt Mifti in einem Tagebuch nieder. „Axolotl Overkill“ basiert auf Helene Hegemanns Debütroman „Axolotl Roadkill“, der kurz nach seiner Erscheinung wegen offensichtlicher Plagiate heftige Diskussionen in der Literaturszene auslöste.

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Meinungen

Barbara · 28.06.2017

Wir sind nach 45 min. gegangen, weil es schlicht nicht auszuhalten war und kein Handlungsstrang erkennbar war.
Damit scheinen wir einen Nerv getroffen zu haben, denn es sind noch ca. 10 weitere Leute aus dem Kino wenige Minuten nach uns gegangen. Alle waren schlichtweg nur abgenervt oder einfach irritiert, was das soll.