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Viel Licht, viel Schatten – und stets in Bewegung: Anne Clarks musikalisch-lyrischer Werdegang war immer brüchig und ist es bis heute. Filmemacher Claus Withopf sucht in zahlreichen face-to-face-Interviews den Menschen hinter der einst hymnisch verehrten New-Wave-Ikone.

Anne Clark - I'll Walk Out Into Tomorrow (2017)

Eine Filmkritik von Simon Hauck

Our Smartness

„As a sleeper in metropolis. You are insignificance. Dreams become entangled in the system.“ Magisch-hymnische Zeilen der britischen New-Wave-Bewegung sind das, geschrieben und intoniert von der Königin der Nacht zu Beginn der 1980er Jahre: Anne Clark. Berühmt, aber nicht gerade vermögend, hatte sie in der musikalisch wilden „do-it-yourself“-Ära um 1982 vor allem zwei Hits gemacht: Our darkness und eben der oben zitierte Sleeper in metropolis, die beide – damals wie heute – noch jedes Tanzparkett quasi wie von selbst füllen.

Regelrechte Über-Hits (wie Prä-Techno-Tracks) waren das für die damals nicht einmal Mitte Zwanzigjährige Clark, die zeitweise regelrecht kultisch verehrt wurde und ziemlich rasch zahlreiche Musikmagazine mit ihrem typischen Borstenhaarschnitt-Konterfei zierte. Doch Von nun an ging’s bergab, um einmal Hildegard Knef, eine andere ausdrucksstarke Diseuse, zu zitieren, wobei Anne Clark nach wie vor alle ihre Texte völlig autark verfasst: Per Hand und auf einfache Schreibblöcke. Auch das ist zu sehen, mitunter sogar zu erleben, in Claus Withopfs filmischer Hommage über eine ziemlich eigenwillige Musiker-Künstlerin, die in gut 35 Jahren im Musikbusiness eigentlich nie in eine feste Schublade gepasst hat – und sich immer wieder radikal neu erfinden musste.

Withopf selbst kennt sie gut, das spürt man rasch zwischen den Bildern, schließlich hatte er zusammen mit ihr bereits 2009 einen Konzertfilm realisiert. Für Anne Clark — I’ll Walk Out Into Tomorrow, wie das dokumentarische Resultat nun im Titel heißt, konnte er dazu die ehemalige Jugendikone der elektroaffinen Post-Punk- und Gothic-Szene, die inzwischen auch schon bald sechzig Jahre alt ist, über beinahe zehn Jahre mit der Kamera begleiten. Dabei entstand – beinahe erwartungsgemäß, wenn ein musikaffiner Regisseur das Objekt seiner filmemacherischen Begierde so gut aus der Nähe kennt – kein kritisches Künstler-Portrait oder ein zeitgemäßer Dokumentarfilm über die derzeitig sich völlig im Wandel befindende Musikszene.

Nein, wer das erwartet oder darin sogar große Sensationen sucht, kann sich im Prinzip den Gang ins nächste Programmkino von vornherein sparen. Oder gleich auf den DVD-Release warten, der speziell in Deutschland sicherlich recht bald erfolgen wird. Schließlich verfügt die Portraitierte zeitlebens über eine besonders treue Fanbase in diesem Lande, unzählige Male ist sie hier schon aufgetreten – und zwar in Metropolen genauso wie in kleineren Provinz-Clubs. Auch persönlich verbindet sie im Inneren ihrer Künstler-Lyriker-Musiker-Seele eine Menge mit der Kultur der „Krauts“, wie die Deutschen heute mancherorts immer noch reichlich abfällig auf der Insel genannt werden.

In ihren mittleren und jüngeren Alben hatte sie sich beispielsweise intensiv mit den Gedichten Rainer Maria Rilkes beschäftigt, was in Withopfs Annäherung auf gelungene Weise in Naturbildern und Texteinblendungen zur Sprache kommt. Anne Clark hat ebenso die überirdisch schönen Verse Friedrich Rückerts vertont und in ihren markanten „Spoken Words“-Performancestil künstlerisch einfließen lassen. Längst tritt die gleich mehrfach finanziell wie psychisch gestrauchelte Clark – was bei Withopf zwar unverblümt vorkommt, aber nie besonders ausführlich – nicht mehr alleine in dunklen New-Wave-Schuppen oder nur im Rahmen von Special-Interest-Festivals auf: Konzertsäle – und sogar Kirchenräume – gehören mittlerweile zum Standard-Repertoire ihrer Auftrittsorte.

Zusammen mit einer Handvoll sympathisch-witziger Szenen, wenn die Porträtierte – stets britisch-höflich auftretend und relativ ungeschminkt-uneitel gegenüber Withopfs Kamera – unter anderem ihre alte Brutalismus-Wohnsiedlungsumgebung („Welcome to metropolis!“) aufsucht, gelingt es dem Frankfurter Filmemacher manchmal durchaus, die echte persona hinter dem androgyn-intersexuellen Kunstwesen „Anne Clark“ zu zeigen. Kein Zweifel: Diese Frau hat (immer noch) Charisma, wirkt an sich verhältnismäßig introvertiert und bleibt musikalisch unentwegt neugierig auf jedwedes Neuland, wobei gerade die jüngeren Techno- und Electro-Bezüge (z.B. in Form der Kooperationen Clarks mit Blank & Jones, Silence oder Implant) in Withopfs Film leider weitgehend außen vor bleiben.

Alles in allem ist ihm aber mit Anne Clark — I’ll Walk Out Into Tomorrow, seinem ersten langen Dokumentarfilm, ein glücklicherweise formal nicht allzu konventionelles Musiker-Portrait gelungen, das Fan-Bedürfnisse sicherlich vollauf befriedigt, dennoch längst nicht alle Fragen zum Werk wie zur Vita der variantenreichen Künstlerin beantwortet und an einigen Stellen schlichtweg zu unreflektiert ausfällt. Vielleicht lautete der Arbeitstitel ja „Our smartness“ …
 

Anne Clark - I'll Walk Out Into Tomorrow (2017)

„As a sleeper in metropolis. You are insignificance. Dreams become entangled in the system.“ Magisch-hymnische Zeilen der britischen New-Wave-Bewegung sind das, geschrieben und intoniert von der Königin der Nacht zu Beginn der 1980er Jahre: Anne Clark. Berühmt, aber nicht gerade vermögend, hatte sie in der musikalisch wilden „do-it-yourself“-Ära um 1982 vor allem zwei Hits gemacht: „Our darkness“ und eben der oben zitierte „Sleeper in metropolis“, die beide – damals wie heute – noch jedes Tanzparkett quasi wie von selbst füllen.

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