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Eine Gruppe von Kleinkriminellen überfällt einen saudischen Prinzen. „Le Gang des Bois du Temple“ erzählt eine Klassenkampfgeschichte für Menschen, die in Blocks leben.

The Temple Woods Gang (2022)

Eine Filmkritik von Mathis Raabe

Für die Banlieus

Sein neuer Film sei „den Menschen in den Banlieus“ gewidmet, sagt Rabah Ameur-Zaïmeche. Schon das Debüt des algerisch-französischen Regisseurs „Wesh wesh, qu’est-ce qui se passe?“ (2001) war bei der Berlinale zu sehen und spielte in einem Pariser Vorort. Auch „Le Gang des Bois du Temple/The Temple Woods Gang“ eröffnet mit einem Schwenk über graue Wohnblocks mit tausenden gleichen Balkonen.

Dann werden der Abtransport einer Leiche und eine Beerdigung gezeigt. Ohne Dialoge, nur die bretonische Sängerin Annkrist singt beim Gottesdienst. Nahaufnahmen zeigen die Trauernden, die auf den Kirchbänken sitzen. Dieser Film hat es nicht eilig.

Die Verstorbene ist die Mutter von Monsieur Pons (Régis Laroche), einem pensionierten Soldaten, der im titelgebenden Wohnprojekt Bois du Temple lebt. Er ist die Hauptfigur der Rahmenhandlung, in der Mitte wird der Film zum Ensemblestück. Monsieur Pons’ Nachbar Bébé (Philippe Petit) und eine Gruppe weiterer Männer aus dem Viertel führen einen Überfall durch. Mitten auf einer Autobahn räumen sie den Transporter eines saudischen Prinzen leer. Leider waren darin neben Bargeld und Hehlerware auch „sensible Dokumente“. Deshalb werden die Räuber dann zu Gejagten und bald liegt der erste von ihnen tot auf seinem Badezimmerboden.

Ameur-Zaïmeche inszeniert diese Geschichte nicht mit den Stilmitteln des Gangsterfilms. Von wenigen Actionszenen abgesehen, entfaltet sich die Geschichte zwischen den Zeilen, während die Männer in Alltagssituationen abhängen. In einer Kneipe zum Beispiel, wo sie in der Zeitung von ihrer Tat lesen und mit gutem Pokerface Kommentare abgeben: „Diese Jungs müssen Eier haben. Chapeau!“ Dann schwenkt die Aufmerksamkeit um zu einem Fernseher, der Pferderennen zeigt. Durch diese ungekürzten Gesprächsszenen gelingt es Ameur-Zaïmeche, die Menschen aus dem Banlieu nicht nur als Opfer ihrer Umstände zu stilisieren, sondern auch als Menschen mit Klassenbewusstsein und Selbstironie.

Das unökonomische Erzählen dient außerdem dazu, den Zuschauenden das Sicherheitsgefühl zu nehmen, sobald die Sache aufgeflogen ist. Eine spätere Szene zeigt die Familie eines der Männer, die ins Auto einsteigt, um sich in Sicherheit zu bringen. Auch hier verweilt die Kamera lange, und diesmal ist es eine quälende Langsamkeit, denn man befürchtet, dass jeden Moment ein Killer des Prinzen mit einem MG um die Ecke kommt.

Le Gang des Bois du Temple ist Klassenkampf-Kino und hetzt die Verdrängten auf einen Mann, der sich wegen seines Geldes alles erlauben kann. Einmal sieht man den Prinzen in einer Kunstgalerie, wie er lacht über die Idee, ein Bild sei nicht verkäuflich, weil es zu einer privaten Sammlung gehört. Trotzdem wird die Figur des Prinzen nicht zur entmenschlichten Karikatur. In einer starken Szene sieht man ihn in einem Nachtclub zu elektronischer Raï-Musik tanzen. Auch er, so scheint es, ist in Paris, um aus etwas auszubrechen, vielleicht aus der Pietät, die seinem öffentlichen Auftreten normalerweise auferlegt ist.

Le Gang des Bois du Temple ist inspiriert von der Ermordung des Journalisten Jamal Khashoggi in der saudi-arabischen Botschaft, so der Regisseur. Alle Figuren des Films sind Verbrecher. Der Unterschied ist aber, dass die Verbrecher der herrschenden Klasse leider seltener zur Rechenschaft gezogen werden. Deshalb ist der Film am Ende auch eine Art kathartisches Märchen, in dem Monsieur Pons ein Engel ist. Er ist der älteste der Gruppe, er hat die Männer, die den Häschern des Prinzen zum Opfer werden, aufwachsen sehen, hat gerade seine Mutter verloren, nun verliert er auch noch seine Freunde, und er hat das Scharfschützengewehr aus seiner Zeit bei der Armee noch im Keller stehen. Er ist natürlich ein grausamer Engel, ein Racheengel, ein Eiskalter Engel? Aber er durchbricht die Herrschaftsverhältnisse und eröffnet dadurch neue Möglichkeiten.

 

The Temple Woods Gang (2022)

Drei Männer spazieren zwischen den Wohnblocks einer Vorstadtsiedlung umher und füttern Tauben. Sie gehören zu einer Gang von kleinen Ganoven, die bei einem bewaffneten Raubüberfall auf den Wagen eines saudi-arabischen Prinzen einen großen Coup gelandet haben. Ihr Gespräch dreht sich um die Anschaffung einer bionischen Handprothese. Ein lang gehegter Traum, der mit dem erbeuteten Geld verwirklicht werden kann. Dass sie Gejagte sind, wissen sie noch nicht.  

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