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Regisseur Erwan Le Duc legt seine Vater-Tochter-Geschichte als intensives Ringen zwischen Komödie und Melodram an und zersprengt den Realismus in seine Einzelteile. Ziemlich einzigartig.

No Love Lost (2023)

Eine Filmkritik von Sebastian Seidler

Tanz Drama! Tanz!

Étienne (Nahuel Pérez-Biscayart) trifft auf Valérie (Mercedes Dassy). Beide sind um die 20 Jahre alt. Auf ein vielsagendes Lächeln folgt ein Wiedersehen auf einer Demonstration und eine gewagte Flucht vor der Polizei – in einem Motorboot. In selbigem wird sich dann auch sofort leidenschaftlich geliebt. Peng! Ein Schwangerschaftstest wird unter dem Tisch eines Cafés weitergereicht. Das Paar erwartet ein Kind. Doch das Bild der Idylle hält nur kurz. Es folgt der nächste Sprung. Peng! Wir befinden uns vor dem Haus von Étiennes Eltern. Koffer werden ausgepackt, das Baby hineingetragen. Valérie meint, sie würde das Auto parken. Sie fährt davon… und wird nie wieder zurückkehren. Peng, Peng, Peng.

All das erzählt Regisseur Erwan Le Duc in nicht einmal zehn Minuten. Auf der Tonspur ein intensives, extra für den Film geschriebenes Orchesterstück. Der Film gleicht in Momenten einer Choreografie. Nur dass nicht die Musik die Bilder umspielt, sondern andersherum. No Love Lost hat da gerade erst begonnen. Es ist die Vorgeschichte zur eigenen Geschichte.

Das Baby ist erwachsen geworden. 17 Jahre ist Rosa (Céleste Brunnquell), eine ambitionierte junge Künstlerin, die in Metz an einer Kunstschule aufgenommen wurde. Mit ihrem Vater Étienne versteht sich die junge Frau ausgezeichnet, wenngleich der Herr Papa durchaus überfürsorglich sein kann. Rosa ist aber auch nicht wirklich sozial kompatibel, mindestens eigenwillig. Ihr exzentrischer Schriftsteller-Freund Youssef (Mohammed Louridi), der an einem Langgedicht über Étienne und seine Beziehung zu Rosa arbeitet, betritt das Haus nicht durch die Tür, nein, er klettert durch das Fenster im ersten Stock. Die jugendliche Liebe braucht eben eine gewisse theatrale Dramatik. Doof nur, dass Rosa nicht mit ihm schläft, was dazu führt, dass der Schüler heftig stöhnend im Bad masturbiert. Dabei überrascht ihn wiederum Étienne, was zu einem der schönsten Dialoge des Films führt, der in seiner Ehrlichkeit herrlich entwaffnend ist, wie auch der Rest des hoch stilisierten Films.

Aus derartigen Szenen setzt sich der Film zusammen. Der zentrale Konflikt ist natürlich die Absenz der Mutter und dass der Vater lediglich vorgibt, über dieses Ereignis hinweg zu sein. Als er Valérie in einer Fernsehreportage über Wellen in Portugal zu erkennen glaubt, reißen alte Wunden wieder auf – während der Score sich in höchste Höhen schraubt.

Der Stil des französischen Regisseurs erinnert an eine Mischung aus der anarchistischen Verspieltheit und Spontanität der Nouvelle Vague und der neurotischen Naivität eines Michel Gondry. Die Männer in den Filmen von Gondry können mitunter nerven, was zum Konzept der Filme dazugehört: Man denke nur an Jack Black in Abgedreht. Sympathisch geht anders. In No Love Lost könnte die Hauptfigur Étienne der Feder des französischen Regie-Kollegen entsprungen sein: Der überbehütende Vater und Fußballtrainer einer Amateurmannschaft will sich dem Leben nicht wirklich stellen, bleibt eher ein erwachsenes Kind.

Doch die Figuren sind ohnehin Nebensache: Erwan Le Duc hat einen Film gedreht, der ständig die Register wechselt. Da folgt Slapstick (Wie viele Fußballspieler passen in ein Auto?) auf Drama und Musikvideo auf Sketch. Das ist unberechenbar, herrlich expressiv und vor allem nicht psychologisierend. Ach, würden doch nur mehr Filme ihre Geschichten in derart mitreißende, tanzende und berührende Bilder verwandeln.

No Love Lost (2023)

Nach einer stürmischen Liebesgeschichte verlässt Valérie Etienne wortlos kurz nach der Geburt ihrer gemeinsamen Tochter Rosa. Sechzehn Jahre später erkennt Etienne seine ehemals große Liebe zufällig in einer Fernsehreportage wieder, während Rosa sich anschickt, ihren eigenen Weg in der Welt zu finden. Etienne droht ein zweites Mal verlassen zu werden. (Quelle: Film Festival Cologne)

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