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Ein aktivistischer Dokumentarfilm plädiert für die Nutzung von Kacke für die Landwirtschaft.

Holy Shit (2023)

Eine Filmkritik von Rochus Wolff

Poop into the loop

Erstmal gleich mit dem Ekeltest einsteigen. Die gut frittierte Vogelspinne, da beißt Filmemacher Rubén Abruña noch zögerlich, aber doch herzhaft zu. Beim Nachtisch fällt ihm das deutlich schwerer: Es riecht zwar wie Schokolade und schmeckt wie Schokolade, aber es sieht doch aus wie menschliches Exkrement. Kacka, Fäkalien, Kot, Fäzes, Würstchen, Scheiße!

Dass der Film das beliebteste deutsche Schimpfwort, die direkte Ansprache seines Themas, auch auf dem Plakat nur schamhaft als „Sch#!$e“ titulieren mag – englisch „shit“ geht, distanzierter „Exkrement“ bestimmt auch – unterstützt den Eindruck natürlich noch: Über Scheiße redet man nicht. Dabei sollten wir, das ist, in aller Kürze, die Kernbotschaft von Abruñas Dokumentarfilm Holy Shit – Mit SCH#!$E die Welt retten.

Der Mann (auch sein erster Film aus dem Jahr 2014, The Absent House, beschäftigte sich schon mit Toiletten) hat allerdings eine Mission, und um diese zu verfolgen, pappt er sich ein knuffiges Kackhäufchen-Emoji mit Augen und womöglich Heiligenschein auf Auto, Transporter oder Golfcart und besucht eine Wohnsiedlung in Genf, eine Kläranlage bei Chicago, fährt von Ystad bis Uganda. Immer mit der Frage im Kopf: Warum nutzen wir eigentlich menschliches Exkrement nicht zum Düngen, sondern kippen es einfach in Flüsse und Meere?

„Getting poop into the loop,“ das ist der Wahlspruch dahinter, nachhaltig und ganz im Sinne eines Verwertungskreislaufs; und so sehr das also weniger dokumentarisches als aktivistisches Kino ist, man muss doch konstatieren: Ja, warum machen wir das eigentlich nicht? Es finden sich dann so einige Gründe, Ekel ist dabei das Wenigste; eher geht es um die ungute Vermischung von Toilettenabfällen mit Industrieabwässern und anderem Dreck, der dann zu Klärschlamm voller Ewigkeitschemikalien führt.

Abruña dröselt das gar nicht weiter historisch auf, das macht begleitend „Das Buch zum Film“ von Annette Jensen, das sich den Titel mit dem Film teilt und als Untertitel den „Wert unserer Hinterlassenschaften“ beschwört. Dort erfährt man (aus dem Verlag orange press) auch noch einiges andere über mögliche Hindernisse und Lösungen, reichlich Quellenangaben gibt es auch.

Film und Buch, Abruña und Jensen, bleiben dabei aber weder bei Geschichte noch in der Gegenwart stehen, ihr Ziel ist die Verbesserung in der Zukunft, und deshalb schauen sie, was in afrikanischen Dörfern und Slums mit Trockenkomposttoiletten möglich ist, und besuchen schließlich ein ostdeutsches Start-Up, das Scheiße gewissermaßen in eine DIN-Norm pressen will: Was muss passieren, damit sie – fein kompostiert und kontrolliert – für die Nutzung in der Landwirtschaft freigegeben wird?

Filmisch ist das alles nicht wahnsinnig aufregend, es gibt Gespräche und viel Off-Kommentar, immer wieder stochern Gartengeräte in dampfendem (kompostierendem) Exkrement herum, zum Ausgleich gibt es ruhige Drohnenflüge, ruhige Naturbilder, und zwischendrin läuft eine Giraffe durchs Bild.

Christoph Maria Herbst spricht Abruñas Off-Kommentar, ihm springen auch harte Wörter für weiche Massen mit großer Gelassenheit von der Zunge. Desensibilisierung ist sicher auch ein Ziel: Nur worüber man sprechen kann, da kann man auch Veränderungen anstoßen.

Hoffen wir, dass das Exkrement wirklich nicht mehr riecht, wenn Bakterien und Hitze, Würmer und Welt damit fertig sind: Damit der Kompost auch bei jenen eine Chance hat, die den Ekel nicht ablegen können oder wollen. Und wenn’s noch so sehr nach Schokolade schmeckt.

Holy Shit (2023)

Was geschieht mit der Nahrung, die wir verdauen, nachdem sie unseren Körper verlassen hat? Ist es Abfall, der weggeworfen wird, oder eine Ressource, die wiederverwendet werden kann? Auf der Suche nach Antworten begibt sich der Regisseur Rubén Abruña auf eine investigative und unterhaltsame Suche durch 16 Städte auf 4 Kontinenten. Er folgt der Fäkalienspur von den langen Pariser Abwasserkanälen bis zu einer riesigen Kläranlage in Chicago. (Quelle: farbfilm Verleih)

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