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Sebastian Fritzsch zeigt in „Der Wald in mir“ eine Amour Fou, die beim Zuschauen eine gewisse Ratlosigkeit hinterlässt.

Der Wald in mir (2024)

Eine Filmkritik von Anke Zeitz

Komm zurück, mein wildes Tier

Die Verbindung des Menschen mit der Natur war und ist ein beliebtes filmisches Erzählmotiv. Dabei können Flora und Fauna für vieles stehen: ein zu verarbeitendes Trauma wie in „Wald“ (Regie Elisabeth Scharang) oder das Ablegen zivilisatorischer Zwänge wie in „Wild“ (Regie: Nicolette Krebitz). In „Der Wald in mir“, der auf dem diesjährigen Max-Ophüls-Festival im Spielfilmwettbewerb zu sehen war, geht es jedoch nicht darum, etwas zu überwinden oder abzulegen. Vielmehr begibt sich der Protagonist Jan (Leonard Scheicher) mehr und mehr in eine Psychose, die ihn an den einzigen Ort treibt, wo er sich verstanden fühlt: in den Wald.

In den ersten Minuten legt der zweite Langspielfilm des Regisseurs Sebastian Fritzsch ein enormes Tempo vor. Wir begegnen dem Studenten Jan und stellen fest, dass dieser schüchterne Typ augenscheinlich keine Menschen mag. Tieren begegnet er wohlwollender, vor allem seine Schlangen liebt er sehr. Dann begegnet er der engagierten Tierschützerin und Aktivistin Alice und wir stellen fest, dass er bei ihr wohl eine Ausnahme machen könnte. Doch je mehr sich Alice Jan nähert, desto mehr entzieht er sich ihr wieder, entwickelt immer mehr eigenartige Ticks und hält sich zunehmend in einer einsam gelegenen Waldhütte auf. Bis Alice in ihrer Hilflosigkeit zu einer drastischen Maßnahme greift, die das zarte Pflänzchen Vertrauen zwischen beiden direkt wieder zerstört.

Im Grunde hört sich all das, was Der Wald in mir als erzählerische Prämisse etabliert, nach einer intensiven Beziehungsgeschichte an, die ihre fesselnden Momente hat. Doch das erzählerische Grundproblem von Der Wald in mir liegt in der Dramaturgie. Die Beziehung zwischen Alice und Jan ist, wie schon erwähnt, nach 15 Minuten voll gesetzt – ohne jedoch vorher eine grundlegende Annäherung wirklich nachfühlbar zu zeigen. Da gibt es mal einen langen Blick, mal ein scheues Lächeln, mal einen Ausflug in die Waldhütte. Und schwups, schon ist die Liebe der beiden etabliert. Leider wird diese Liebe dann in den verbleibenden zwei Dritteln des Films auch wieder ohne das richtige Gespür für aufeinander aufbauende Momente demontiert.

Das ist natürlich legitim, gerade das Sujet einer Amour Fou, bei der man schon zu Beginn spürt, dass diese Beziehung letzten Endes nicht gut gehen kann, lässt sich selbstverständlich so umsetzen. Doch irgendwie glaubt man den Figuren weder ihre schnelle Anziehung voneinander, noch das Verzweifeln und Scheitern aneinander.

Fritzsch und der Drehbuchautor Marcus Seibert arbeiten viel mit Symbolik und tierischen Stellvertretern von Jans Gemütszuständen. Da gibt es die wiederholte Begegnung mit einem streunenden Fuchs im Hinterhof, das Bildmotiv eines scheinbar vom Muttertier verlassenen Fuchsbaus und die wilde, von Pflanzen überwucherte Szenerie, sowohl draußen im Wald als auch in Alice‘ Wohnung, in der sich mittendrin eine Art Botanischer Garten in Miniaturform befindet.

Es ist diese Symbolik, die den Film – und bedauerlicherweise auch seine Darstellenden – ein wenig erdrückt. Besonders Jan, in dessen Verkörperung Leonard Scheicher mit einer fragilen, schüchternen und irgendwe auch animalischen Verhuschtheit wirklich alles gibt, bleibt leider eine so kontextlose, der Erzählung entrückte Figur, dass man ihm zwar bei seinen tiergleichen Gestiken (die Interaktion mit einer Eule des Nachts ist besonders schön mitanzusehen) gerne beiwohnt, aber doch nie so richtig weiß, warum sich seine Figur wie verhält.

Und auch Lia von Blarer kann Alice nur wenig Seele verleihen, wobei das nicht an ihrer Darstellung liegt, sondern an der Geschichte, die ihr keine eigene Backstory zugesteht und sie letzten Endes nur als Bezugs- oder Spielperson von Jan inszeniert.

Dass Drehbuch und Regie den Fokus mehr auf das bildliche denn auf das Erzählen über Dialoge setzen, ist eine künstlerische Entscheidung, die für die Zuschauenden einen wirklich schönen Boden bereitet, sich auf die poetisch-mysteriöse Stimmung des Films einzulassen. Auch die Kamera von Bernhard Keller (u.a. Die Wand) findet wunderschöne Bilder, die die geheimnisvolle Anziehungskraft einer urigen Waldlandschaft auf die Leinwand bannen. Doch was sich im Verlauf des Films trotz der Schönheit der Bilder einstellt, ist nicht etwa eine angenehm-schaurige Rätselhaftigkeit, sondern eine zunehmende Verwirrtheit. Dazu entlädt sich die Krankheit oder dysfunktionale Störung, unter der Jan augenscheinlich leidet, in einzelnen aggressiven Momenten, ohne aber wirklich in den Konflikt, den Jan durchläuft, vorzudringen.


Alle Figuren wirken wie in die Szenerie hineingepackt, ohne eigene innere Motivation. Das nimmt dem Film bedauerlicherweise ein wenig seine Seele und lässt ihn kälter wirken als er dies eventuell beabsichtigt. Man fragt sich, was Der Wald in mir erzählen will. Geht es um den immer drastischeren Abstieg eines jungen Menschen in seine Psychose? Geht es um eine Beziehung, die an inneren und äußeren Umständen zerbricht? Geht es um die Entfremdung des modernen Menschen von der Wildheit in sich selbst – und die sich, wenn sie unterdrückt wird, brutal bahn bricht? All das sind spannende Fragen, die man in Der Wald in mir zweifelsohne erkennen kann. Doch leider macht es der Film den Zuschauenden etwas zu schwer, sich auf diese Fragen auch wirklich einzulassen.

Der Wald in mir (2024)

Mit Menschen kommt der schüchterne Student Jan (Leonard Scheicher) nicht so gut klar, mit Tieren hingegen umso besser. Vor allem die Exoten haben es ihm angetan, und so kümmert er sich zu Hause liebevoll um seine Schlangen. Doch als er in der Uni die radikale Tierschützerin und Umweltaktivistin Alice (Lia von Blarer) trifft und die beiden sich verlieben, ändert sich sein Leben von Grund auf. Plötzlich wird Jan von seinen intensiven Gefühlen, dem sozialen Leben und der Nähe zu Alice so sehr überwältigt, dass seine Wahrnehmung sich verzerrt und er glaubt, dass er aktiv gegen verschiedene Bedrohungen vorgehen muss. Obwohl Alice ihm zur Seite steht, verliert er sich in einem rauschhaften Strudel aus Liebe und Wahn. (Quelle: Filmfestival Max Ophüls Preis 2024)

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Meinungen

Rita Müller · 25.01.2024

Habe gerade die Weltpremiere in Saarbrücken gesehen und könnte mir keinen besseren Film vorstellen der Psychose von innen mit viel Einfühlungsvermögen beschreibt.
Die enorme Sensibilität und gleichzeitig die Tragig wird unglaublich gut von dem Regisseur und den Hauptdarstellern beleuchtet. DANKE DANKE DANKE auch im Namen aller Psychiatriepatienten, den oft hilflosen Angehörigen und den Mitarbeitern aller Kliniken, die auch in grosse Spannungsfelder beruflich geraten.

Und trotz allem Schweren beweist der Film , dass diese Kreativität eine Bereicherung sein kann gesellschaftlich.

Danke Sebastian !!!