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Hinter dem Urlaubsidyll der großen Hotels verbirgt sich der harte Alltag der Animateure, für die jede feuchtfröhliche Party letztlich erschöpfende Arbeit ist.

Animal (2023)

Eine Filmkritik von Sebastian Seidler

Ein leerer, ein endloser Tanz

Die Regisseurin Sofia Exarchou wird in ihrem Regiestatement ziemlich deutlich, wenn sie das All-Inclusive-Hotel als die griechische Tourismusmaschine bezeichnet. In ihrem Film „Animal“ blickt sie mit unnachgiebiger Ausdauer in den Maschinenraum der Unterhaltung, in dem sich eine Gruppe aus Animateuren aufreibt. Schließlich muss jeden Abend eine Horde von Touristen im Hotel unterhalten werden, die den Alltag einfach hinter sich lassen will.

Kalia (Dimitra Vlagopoulou) arbeitet schon eine Ewigkeit in der Tourismusbranche und unterhält Abend für Abend die Gäste mit Tanz- und Gesangseinlagen. Nicht selten wirft sie sich dabei in die Arme von älteren Herrschaften, die sich gerne der Illusion des Flirts hingeben. Die ganze Ferienanlage ist die Bühne. Alles ist gepflegt und ordentlich, aber auch bieder und leer. Hinter der Oberfläche bröckelt der Putz von den Wänden, hat sich eine Trostlosigkeit eingenistet, von der man sich eigentlich nur in den Exzess fliehen kann.

Genau das tut die junge Griechin auch schon viel zu lange. Mit ihren Kolleg*Innen lebt sie in einem Wohnkomplex, der doch mehr an eine Barackensiedlung erinnert. Warum sie das denn schon so lange mache, wird Kalia gefragt. Die Antwort ist von bestechender Einfachheit: Es gebe Essen, ein Dach über den Kopf und sie könne jeden Abend singen. Im Verlauf des Films wird sich zeigen, dass jeder Performance ein Tänzeln am Abgrund der eigenen Leere ist: Kalia ist ausgebrannt. Der pragmatische Sex mit ihrem Kollegen oder willigen Gästen gleicht dem verzweifelten Versuch, eine Intensität herzustellen.

Diese will sich aber nicht mehr einstellen, da die Unterschiede fehlen: Alles reiht sich in endloser Wiederholung aneinander. Je größer die Erschöpfung wird, desto härter wirft man sich in das grelle Licht der Scheinwerfer oder in den Bass der Clubs in der Stadt. Von dieser Selbstauflösung erzählt Exarchou in kargen Bildern, die vor allem die Körper wie unter ein Mikroskop stellen. Es drängen sich Ähnlichkeiten zur sinnlich-kalten Ästhetik einer Claire Denis auf, die sich ebenso wenig mit der Psychologie der Figuren aufhält. Als Zuschauer*Innen werden wir in die Beobachtung gezwungen, müssen uns auf die kleinsten Regungen und Gesten konzentrieren, mit denen sich das ganze Drama anbahnt.

Die Welt hinter den Strömen aus Touristen wird in ihrer repetitiven Banalität großartig in Szene gesetzt. Allein, man hat es nach einer Stunde begriffen. Etwas mehr Verdichtung hätte der Geschichte eine größere Dringlichkeit gegeben. Auch wird mit der neuen Kollegin Eva (Flomaria Papadaki) ein jüngeres Alter Ego von Kalia eingeführt, der sich die Hemmungen und Zweifel regelrecht in das Gesicht schreiben. Diese Beziehung zwischen den beiden Frauen, dieser Prozess der Ablösung durch eine andere Generation, wird leider kaum ausgespielt. Exarchou fokussiert sich zu sehr auf den Schmerz und den Taumel ihrer Hauptfigur und vergisst darüber jede Variation und Differenz. So tanzt sich der Film in ein Ziel, dessen Form sich lange vorher deutlich ankündigt. Alles in allem ist Animal aber ein feinfühliges Porträt einer Welt, die wir alle bereisen, ohne sie wirklich zu kennen.

(gesehen in Locarno 2023)

Animal (2023)

Mit ihrem einnehmenden Spielfilm „Animal“ wendet sich die Filmemacherin Sofia Exarchou den Kehrseiten des konfektionierten Ferienvergnügens in ihrer Heimat Griechenland zu: Unter der heißen Sonne und inmitten der schweißtreibenden Nächte eines ewigen Sommers bereiten sich Kalia und ihre Kolleg*innen der bunt zusammengewürfelten Truppe an Hotelanimateur*innen auf den Höhepunkt der Tourismussaison vor. Zwischen Bingo-Sessions, Bühnenperformances und berauschenden Clubnächten brechen sich Dynamiken Bahn, die Kalias Kampf im Dazwischen von Rampenlicht und Schattendasein offenbaren. Die Nächte werden gewalttätig – und die Ausgelassenheit weicht dem Exzess. Hier: „Welcome to the party!“ Da: „Navigate through this madness!“.

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