Roter Himmel (2023)

Feuer überall

Eine Filmkritik von Harald Mühlbeyer

"Roter Himmel" ist die Christian-Petzold-Variante von Stanley Kubricks "Shining". Ein Schriftsteller steckt fest an einem Ort, an dem er weder Schlaf noch Inspiration findet, sondern nur Leute, die ihn nerven. Doch Petzold lässt nicht – das wäre ja einfach gewesen – dem Wahnsinn freien Lauf, sondern zeigt präzise das innere Zerfressen von Leon, dem jungen Autor, der an seinem zweiten Roman eigentlich arbeiten will. Das macht er zumindest sich vor, seinem Freund, nein, besser: Kumpel Felix und auch Nadja und Devid, denen sie im Ferienhaus an der Ostsee begegnen. Und 30 Kilometer weiter wüten die Waldbrände.

Eigentlich will Leon alleine sein. Er will nicht schwimmen gehen, muss arbeiten. Spielt dann aber mit einem Tennisball. Gibt seine Tätigkeit als hoffnungsvoller Autor vor. Felix ist am Strand; er verbindet seine Arbeit mit dem Vergnügen zu baden, will eine Kunsthochschule-Bewerbungsmappe mit Thema Wasser zusammenstellen. Nadja ist zufällig im selben Haus, Felix’ Mutter hat doppelt vermietet; Devid ist der Rettungsschwimmer. Sie alle nerven.

Leon wird gespielt von Thomas Schubert als unsicherer, missvergnügter Mensch, der sich in sich selbst zurückzieht und dem missfällt, was er dort findet. Schubert ist großartig in der Darstellung der Widersprüche dieses Menschen, wie er die anderen in Schubladen steckt. Nadja? Russin, na klar. Und dann noch Eisverkäuferin. Eine Putzfrau hatte mal sein Manuskript als Schmonzette beurteilt – klar, was sonst, und was weiß die schon, und ist es eine Schmonzette, und kann er überhaupt schreiben, und was wird der Verleger sagen, wenn er morgen vorbeikommt? Leon brütet, ist abgestoßen von den nächtlichen Beischlafgeräuschen, die aus Nadjas Zimmer kommen, zugleich angezogen von ihr, der Rätselhaften. Devid, der Rettungsschwimmer, mit einem E, weil das so ein DDR-Ding ist, der ist das Leben selbst, Leon macht ihn subtil genug, um deutlich zu sein, beim gemeinsamen Abendessen fertig. Felix, der Freund, den Leon nutzt, um in der Abgeschiedenheit seinen Roman fertigstellen zu können, entfernt sich mehr und mehr aus seinem Umkreis, Leon spürt die Distanz und ignoriert sie, weil er sie nicht wahrhaben will.

Petzold ist ein Meister in seinem Fach, das beweist er einmal mehr mit Roter Himmel. Er verzichtet auf eine nacherzählbare Handlung und beschreibt filmisch seine Charaktere, und das genügt – weil Petzold eben doch sehr viel zu erzählen hat, über die Bilder, über die Körper seiner Figuren, über deren Blicke, über die kleinen Nebenbei-Genreeinsprengsel von Komödie über Drama bis Horror, die er einstreut, ohne sie auszustellen. Autopanne, Geräusche im Wald, überraschende Begegnungen und kokette Dialoge – die innere Ablehnung dessen, was sie anderen interessant macht. Leon will teilhaben an der Sommerfreude und verweigert gleichzeitig das Vergnügen, blockiert sich selbst. Frisst alles in sich rein, ist unsicher, weist die anderen schroff ab, zieht sich zurück. Ist dann beleidigt, ganz für sich. Und lässt es an den anderen aus. 

Roter Himmel ist eine grandiose Charakterstudie, auch ein Film darüber, was Kunst ist und wie sie gemacht wird, ein Film über Gefühle, wie man sie unterdrücken kann und wie sie dann doch herausbrodeln. Wenn es zu spät ist. Das ist, man mag es kaum glauben, spannend. Und auf jeden Fall höchst sehenswert.

 

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/roter-himmel-2023