A E I O U - Das schnelle Alphabet der Liebe (2022)

Am Anfang war das A

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Alles beginnt mit einem A, so erklärt zu Beginn des neuen Filmes von Nicolette Krebitz die weibliche Erzählerinnenstimme: Das „Ah“ bei Orgasmus und der erste Laut, den ein Baby nach der Geburt von sich gibt - am Anfang war nicht das Wort, sondern nur ein Laut. A.

Am Anfang steht aber auch noch etwas anderes: Als Anna (Sophie Rois) durch die nächtlichen Straßen Berlins geht, wird ihr von einem Räuber die Handtasche entrissen und sie unsanft zu Boden gestoßen. Ein zufällig anwesendes junges Paar nimmt die Verfolgung auf und kann den in die Enge getriebenen Dieb schließlich hur Herausgabe der Beute bewegen. So weit, so gut, doch dann begegnen sich die beiden wieder, durch einen Zufall, der die ganze Geschichte überhaupt erst in Gang setzt.

Denn die erfolglose Schauspielerin Anna, die bei ihrem befreundeten, fast väterlich anmutenden Vermieter (Udo Kier) mit einigen Monatsmieten in der Kreide steht, lässt sich von ihrem Arzt dazu überreden, einem Schüler aus schwierigen Verhältnissen Sprechunterricht zu geben, das dieser bei einer Schultheateraufführung mitwirken soll. Als sie den jungen Mann namens Adrian (Milan Herms) vorgestellt wird, erkennt sie in ihm den nächtlichen Dieb und auch er weiß ganz genau, wen er da vor sich hat. Also beginnen genau in diesem Wissen um das gemeinsam Erlebte die wöchentlichen Unterrichtsstunden mit Sprachübungen - und natürlich beginnen diese mit den Vokalen - genauer gesagt mit einem A.

Von diesem Punkt aus entwickelt sich zwischen dem schweigsamen und gehemmten Adrian und der resoluten, aber ein wenig chaotischen Anna eine Freundschaft, eine Liebe vielleicht sogar gegen jede Konvention, mit immer wieder überraschenden Wendung, die die beiden schließlich vom Suppe essen in der spartanischen Berliner Altbauwohnung über Diebestouren durchs KaDeWe sogar bis an die Côte d’Azur führen wird.

Temporeich, poetisch-versponnen und fantasievoll, mit wilden Volten, verrückten Wendungen und surrealen Episoden wie eine Mischung aus Außer Atem, altmodischer Gaunerkomödie, frischer Amour fou Liebesgeschichte und existenzialistischer Sommerkomödie ist AEIOU  - Das schnelle Alphabet der Liebe insbesondere für das deutsche Kino ein Wagnis, weil der Film sich gängigen Formeln verweigert, immer wieder vor Lust am Erzählen und Energie beinahe ins Schlingern gerät und dann doch wieder die Kurve kriegt - ein wohlkalkulierter Beinaheunfall, bei dem man einfach nicht mehr wegschauen will.

Weil der Film ausschließlich beim A bleibt, könnte man nun vielleicht vermuten, dass Nicolette Krebitz noch weitere Werke zu den restlichen Vokalen folgen lassen könnte. Auch wenn das mit Abstand betrachtet mit einiger Skepsis ob der Realisierbarkeit sehen muss - ich würde mich über die folgenden Filme über das E, das I, das O und das U freuen. Denn genau von diesem Mut, dieser Leichtigkeit, diesem Drang zum wilden Fabulieren braucht das deutsche Kino dringend mehr.

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/a-e-i-o-u-das-schnelle-alphabet-der-liebe-2022