Der Gesang der Flusskrebse (2022)

Eine Überlebende

Eine Filmkritik von Andreas Köhnemann

Der Roman „Der Gesang der Flusskrebse“ von Delia Owens, der 2018 in den USA und im Jahr darauf in Deutschland erschien, ist eines jener Werke, deren Verfilmung angesichts des großen Erfolges unvermeidbar erscheint. Von der Kritik erhielten vor allem die mit Symbolik aufgeladenen Naturbeschreibungen viel Lob; der Sprachstil der Autorin wurde gar mit literarischen Größen wie Mark Twain und Harper Lee verglichen.

Die Leinwandadaption von Olivia Newman, nach einem Drehbuch von Lucy Alibar, bietet nun tatsächlich sehr einnehmende Aufnahmen im Southern-Gothic-Stil, in denen das Sumpfgebiet im US-Bundesstaat North Carolina eingefangen wird. Dennoch ist alles zu hochglänzend, zu nah an einem verfilmten Coffee-Table-Book, um hier in Analogie zur Literaturkritik an Klassiker der Kinohistorie zu denken. Vielmehr kommen uns die zumeist ebenfalls recht hübsch anzusehenden, aber letztlich ziemlich austauschbaren Filmversionen der Romane von Nicholas Sparks (etwa Das Leuchten der Stille) in den Sinn.

Wie die Vorlage ist Der Gesang der Flusskrebse ein Mix aus Krimi, Coming-of-Age-Drama und Romanze. Zunächst stehen die Crime-Elemente im Vordergrund. Im Jahr 1969 wird die Leiche des wohlhabenden jungen Quarterbacks Chase Andrews (Harris Dickinson) gefunden. Ein Sturz aus 20 Metern Höhe, durch die geöffnete Luke eines Feuerwachturms im Marschland von North Carolina, nahe des kleinen Ortes Barkley Cove, hat zum Tod geführt. War es ein tragischer Unfall? Oder wurde der Mann gestoßen? Für die lokale Gemeinde ist rasch klar: Das „Marschmädchen“ steckt dahinter! Gemeint ist damit Kya Clark (Daisy Edgar-Jones) – eine junge Frau, die ganz allein in der Abgeschiedenheit lebt. Sie hatte bekanntermaßen eine Affäre mit Chase. Bald wird Kya von der Polizei festgenommen und schließlich des Mordes angeklagt. Der eigentlich schon pensionierte Anwalt Tom Milton (David Strathairn) will ihr helfen. Und so beginnt Kya, ihre Vergangenheit zu schildern.

Der Einstieg ist dicht erzählt; die Stimmung in der Kleinstadt wird gut vermittelt – und schon hier zeigt sich, dass die Hauptdarstellerin Daisy Edgar-Jones, die bereits in der irischen Miniserie Normal People (2020) überzeugen konnte, über das nötige Ausdrucksvermögen verfügt, um die zurückgezogene, aber zugleich neugierige und pragmatische Protagonistin zum Leben zu erwecken. Und auch David Strathairn (Good Night, and Good Luck) agiert so würdevoll und bedacht wie immer.

Erste Schwächen werden indes in den Rückblenden deutlich. Die Situation der kleinen Kya (glaubhaft verkörpert von Jojo Regina) muss in wenigen Szenen veranschaulicht werden und fällt entsprechend oberflächlich aus. Die Mutter (Ahna O'Reilly) verlässt den im Krieg verwundeten, brutalen und alkoholsüchtigen Vater (Garret Dillahunt) und die fünf Kinder; und auch Kyas vier Geschwister entfliehen nach und nach, sodass sich das Mädchen allein durchschlagen und von der Natur lernen muss. Zu ihren einzigen Vertrauten wird das Paar Mabel (Michael Hyatt) und Jumpin’ (Sterling Macer Jr.), das einen Laden betreibt und als Schwarze ebenfalls eine Position als Außenstehende in Barkley Cove hat. Ein wirkliches Gespür für die Darstellung von häuslicher Gewalt, Armut und Ausgrenzung fehlt dem Film jedoch. Wenn Kya in ihrer Not anfängt, nach Muscheln zu graben, um diese verkaufen zu können, mutet das eher wie ein inspirierend gemeintes Abenteuer an. Und auch die Instagram-Ästhetik des Hauses gibt der Sache weniger etwas Märchenhaftes als vielmehr etwas Verlogen-Romantisierendes.

Noch wechselhafter wird es, wenn sich Der Gesang der Flusskrebse der Liebe zuwendet. In Tate Walker (Taylor John Smith) scheint Kya ihren perfekten Partner gefunden zu haben. Regisseurin Olivia Newman demonstriert uns das in ihrer Inszenierung, indem beim ersten Kuss das Herbstlaub um die beiden herum weht und später ein eintreffender Schwarm von Schneegänsen ein Date des Paares bereichert. Nun ja. Zwischendurch wird noch die ikonische Liebespose aus Verdammt in alle Ewigkeit (1953) kopiert, in der sich Deborah Kerr und Burt Lancaster am Strand rekeln. Das hölzerne Spiel von Taylor John Smith macht einige Momente – darunter auch die, in denen es zu Konflikten kommt – eher unfreiwillig komisch.

Treffender ist wiederum die Art und Weise, in der das ambivalente Verhältnis zwischen Kya und dem letztlich tot aufgefundenen Chase gezeigt wird: eine Mischung aus Anziehung und Abstoßung, die schließlich in Bedrohung kippt. Der Strang um dem Tod von Chase – der durch die Tatsache, dass auch die Autorin offenbar in einen Mordfall verwickelt ist, einen äußerst seltsamen und bitteren Beigeschmack erhält – sorgt dafür, dass der Film bis zum Schluss eine gewisse Spannung hat. Ein stimmiges Ganzes will hier aber einfach nicht entstehen.

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/der-gesang-der-flusskrebse-2022