I Care a Lot (2020)

Unsympathisch und faszinierend

Eine Filmkritik von Lars Dolkemeyer

Unerwartet spaßige Filme beginnen häufig mit einer unerwartet einfachen Prämisse. Zum Beispiel: Was wäre, wenn eine skrupellose Betrügerin versehentlich ausgerechnet die Mutter eines Mafia-Bosses betrügen würde? I Care a Lot" setzt mit dieser Ausgangsidee ein Duell zwischen zwei unangenehmen Menschen in Szene, die sich gegenseitig zugrunde richten und dafür bereit sind, mit allen Mitteln zu kämpfen. Dass diese Konstellation auch über den Verlauf des Films trägt und nicht nur als gute Idee versandet, liegt dabei vor allem an Rosamund Pike und Peter Dinklage.

Marla Grayson (Rosamund Pike) hat die ideale Nische im US-Sozialsystem gefunden, um reich zu werden: Durch eine gute Beziehung zu einer Ärztin und zu einem Richter lässt sie sich reihenweise Vormundschaften für vermeintlich pflegebedürftige Menschen zuschieben, deren Familien sich vermeintlich nicht um diese kümmern können. Wenn dann erst einmal der Zugriff auf das Bankkonto und den Besitz der unfreiwilligen Patient*innen vorliegt, kann Marla mit ihrer Partnerin Fran (Eiza González) ordentlich kassieren. Ungünstig: Die reiche Ruheständlerin Jennifer Peterson (Dianne Wiest) entpuppt sich als Mutter eines einflussreichen Mafia-Bosses (Peter Dinklage), der vor keinem Mittel zurückschreckt, um seine Mutter aus Marlas Fängen zu befreien. Nur unterschätzt dabei er die unbändige Kampflust, die Marla antreibt, und ihren unzerstörbaren Drang zu gewinnen.

In einer wunderbaren Montage zeigt der Film gleich zu Beginn die Präzision und Eleganz, mit der Marla ein System ausnutzt, das eigentlich zum Schutz von Menschen gedacht ist, die nicht für sich selbst sorgen können. Ohne jegliche Skrupel besticht sie eine Ärztin, die ihr eine besonders reiche und vor allem alleinstehende Frau empfiehlt, die dann wiederum ohne viel Widerstand von einem Richter in Marlas Obhut gegeben wird. Mit eisigem Lächeln heuchelt sie sich durch die Institutionen, kontrolliert durch ihre lukrativen Einweisungen auch den Leiter des örtlichen Pflegeheims und rauscht nach getaner Arbeit in elegantem Sportwagen zurück zur Designer-Wohnung.

I Care a Lot kostet die Perfektion dieses Vorgehens, das darin besteht, Hilflosigkeit zu einem Geschäft zu machen, in einer durchgetakteten Sequenz von Einstellungen aus, die kaum Luft lassen, um die Fassungslosigkeit zu verdauen, die Marlas Kälte weckt. Auf der anderen Seite steht Jennifer Petersons Sohn mit der ganzen Brutalität und Rücksichtslosigkeit organisierter Kriminalität. In schwarzen SUVs gleitet er scheinbar unaufhaltsam und unangreifbar durch jene Welt, die Marla auf ganz legalem Wege zu ihrem Spielball macht. Zwei Kräfte treffen aufeinander und es ist unmöglich zu bestimmen, wer von den beiden unsympathischer und unausstehlicher ist.

Ganz so wie die eigenartige Faszination etwa in John Wick zu großen Teilen von Keanu Reeves‘ Körperlichkeit ausgeht, ist es in I Care a Lot die unnachgiebige und gewaltgeladene Ausdrucksstärke der Hauptdarsteller*innen, die den Film bei alldem zu einer so unerwarteten Freude werden lässt. Es gibt vermutlich wenige Schauspieler*innen, die stechend-kalte und herabwürdigende Blicke so beherrschen wie Rosamund Pike und Peter Dinklage. Die Dynamik der beiden verleiht dem Film eine Spannung, die auch über stellenweise Längen und die nicht immer ganz kohärent entwickelte Erzählung hinweg trägt. Wenn Rosamund Pike nach einem gescheiterten Mordversuch schreiend vor Wut um ihre Fassung ringt und die Energie sogleich zu neuer und nur noch tiefer verankerter Bestimmtheit formt – und das alles in einer einzigen Einstellung – dann ist es schwer, sich nicht darauf zu freuen, mit welcher Wucht sie auf Peter Dinklages zugleich angewiderten wie anerkennenden Ausdruck und auf seine immer knapp unter der Oberfläche brodelnde Explosivität treffen wird.

I Care a Lot verpasst dabei zwar so ziemlich jede Möglichkeit, das Sozialsystem zu kritisieren, das dem Film lediglich als zynisches Setting dient, und auch die etwas angehängt wirkende Nebenrolle für Eiza González kommt unter dem Duell der eigentlichen Hauptfiguren kaum zu einer eigenen Kontur. Doch es ist genau diese Konstellation und die von ihr ausgehende Faszination, die über die vielen Unreinheiten in I Care a Lot hinwegsehen lässt. Im Aufeinandertreffen von zwei Menschen, deren unaufhaltsame Gier jedes Menschenleben entwertet, lässt der Film keine Luft für irgendetwas anderes als deren schier grenzenlose Selbstbezüglichkeit. Das nur konsequente Finale steigert die zynische Weltsicht von I Care a Lot schließlich zu jenem Punkt, an dem das individuelle Leben überhaupt keinen Wert mehr hat und jene Weltsicht selbst sich noch als wertlos enthüllt. Was bleibt, ist die Freude an der Energie, die auf dem Weg dorthin zwischen den beiden Figuren Funken schlägt.

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/i-care-a-lot-2020