Zwischen uns die Mauer (2019)

Eine Liebe, die der DDR nicht gefiel

Eine Filmkritik von Bianka Piringer

Zum 30. Jahrestag des Mauerfalls kommen Filme ins Kino, die sich an ein junges Publikum richten, das die bittere Realität der deutsch-deutschen Grenze nicht erlebt hat. Der Animationsfilm „Fritzi – Eine Wendewundergeschichte“ bietet etwa eine dramatische Geschichtsstunde über die friedliche Revolution von 1989 für Kinder von heute.

Zwischen uns die Mauer, basierend auf dem gleichnamigen autobiografischen Roman von Katja Hildebrand, erzählt von einer Ost-West-Jugendliebe, die sich der Trennung durch die Mauer widersetzt. In beiden Geschichten offenbart sich den Protagonisten und mit ihnen dem Publikum die ganze Absurdität des DDR-Regimes, sobald dieses den Inbegriff menschlicher Freiheit, das Zusammenstreben zweier Freunde oder zweier Liebenden, attackiert.

Die 17-jährige Anna (Lea Freund) wohnt in der westdeutschen Provinz und sehnt sich danach, endlich einmal Westberlin kennenzulernen. Deshalb nimmt sie an einer kirchlich organisierten Jugendreise teil, die einen mehrtägigen Austausch mit jungen Christen in Ostberlin zum Ziel hat. Die Tagesbesuche in Ostberlin will Anna lediglich als lästige Pflicht absolvieren, doch im Haus des Pfarrers Andreas (Götz Schubert) ändert sie ihre Einstellung rasch. Denn sie verguckt sich in seinen Sohn Philipp (Tim Bülow). Die beiden seilen sich zwischendurch auch mal von der Gruppe ab und schlendern durch die Straßen, reden, strecken ihre emotionalen Fühler aus.

Der Abschied am Grenzübergang Bahnhof Friedrichstraße fällt Anna und Philipp sehr schwer. Es folgen Briefe, Anna vernimmt die Stimme ihres Herzens immer lauter. Anstatt in den Skiurlaub mit den Eltern (Franziska Weisz, Fritz Karl) und der kleinen Schwester fährt Anna nach Westberlin. Mit einem Tagesvisum für Ostberlin in der Tasche klingelt sie an Philipps Wohnungstür… Fortan kämpfen die beiden Verliebten an zwei sehr unterschiedlichen Fronten. Anna widersetzt sich ihren Eltern, die ihr die Reisen in den Osten verbieten wollen. Philipp, der Rebell, beobachtet heimlich aus einem Speicherfenster einen Wachturm an der Mauer. Er erkennt ein Muster, wenn die Wache wechselt, die Soldaten scheinen ein paar Sekunden abgelenkt zu sein. Könnte er in dieser Zeit nicht mit einer Leiter die Mauer erklimmen?

Lea Freund spielt Anna als ein durchschnittlich wirkendes Mädchen ohne hervorstechende Eigenschaften, ihr Herzklopfen ist zunächst kaum vernehmbar. Auch mit Tim Bülow als Philipp kann man eine Weile fremdeln, denn er erscheint vor allem äußerlich sehr markant, mit seinen Locken, der Nickelbrille und der Lederjacke. Eine solche Figur verbindet man am ehesten mit dem Klischee der intellektuellen Existenzialisten von Paris. Auch um rebellische, regimekritische Sprüche, die er erstaunlich laut proklamiert, ist Philipp nicht verlegen. Die Chemie des Pärchens hat Startschwierigkeiten. Angeheizt wird sie von der schieren Verwunderung der beiden, wenn sie sich nach Monaten für ein paar Momente von Angesicht zu Angesicht gegenüberstehen dürfen.

Die Geschichte erinnert in ihrer Thematik stark an Connie Walthers Jugendfilm Wie Feuer und Flamme aus dem Jahr 2001, erreicht aber lange keine vergleichbare emotionale Intensität. Da hilft es auch wenig, wenn Anna daheim am Flussufer steht und die Strömung betrachtet, die  Freiheit und Sehnsucht symbolisiert. Unter der Regie von Norbert Lechner (Tom und Hacke) schleicht sich Annas und Philipps Drama langsam, beinahe unmerklich ein und kriecht einem dann doch unter die Haut. Man verliebt sich in die Gesichter, meint schließlich in ihnen sogar die Sprachlosigkeit zu lesen, die aus der individuell und sehr unterschiedlich erlittenen Gewalt des DDR-Staates resultiert.

Denn die Grenze schiebt sich immer stärker ins Bewusstsein des Pärchens, übernimmt als Kontrahentin die Regie. Die DDR gewährt Anna allenfalls Zutritt, sie kann ihn aber auch verbieten. Die Stasi macht sich bemerkbar. Anna wird verhört, weil sie eine Platte nach Ostberlin schmuggeln wollte. Durch Philipp erfährt sie, dass in Ostberliner Häusern, die an die Mauer grenzen, der Blick aus den Fenstern auf die Wachtürme nicht gestattet ist. Schließlich fällt der Eiserne Vorhang mit einer Unerbittlichkeit, die dem Paar den Atem raubt.

Aber offenbar herrscht die Angst unter Filmemachern, dass sie den Kern eines deutsch-deutschen oder DDR-Dramas verfehlen, wenn es der heutigen jungen Generation nicht explizit den tödlichen Charakter der DDR-Grenze vor Augen führt. Der gefühlte pädagogische Auftrag, die ganze historische Wahrheit beim Namen zu nennen, schlägt sich in der Handlung nieder. Aus diesem Grunde muss die Titelfigur in Fritzi – Eine Wendewundergeschichte die DDR-Grenze persönlich überwinden wollen. Und in Zwischen uns die Mauer läuft eine Jugendliche, die Anna und Philipp kennen, gar in den Tod. Eine westdeutsche Zeitung veröffentlicht das Foto ihrer Leiche am Tatort. Solche Zuspitzungen dienen wohl der Stilisierung einer Realität, für deren Erfassung aufgrund zunehmender zeitlicher Entfernung, markante Orientierungspflöcke notwendig erscheinen können. Dabei entsteht auch die Gefahr einer verfremdenden Klischeebildung.

Der emotionale Höhepunkt des Dramas ist im Grunde ein tragischer. Als die Mauer schließlich fällt, hat sie mit ihrer Sinnlosigkeit diesen beiden jungen Menschen längst ihren Stempel aufgedrückt. Beim ersten Wiedersehen von Anna und Philipp lotet der Film solche Erkenntnisse wortkarg, aber gerade dadurch sehr bewegend aus. An dieser Stelle lässt sich dann auch darüber sinnieren, warum ein Happy End zwar in der Realität wünschenswert, für einen Spielfilm aber nicht unbedingt vorteilhaft ist.

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/zwischen-uns-die-mauer-2019