The Ballad of Buster Scruggs (2018)

Und obendrein singen sie auch noch

Eine Filmkritik von Maria Wiesner

Es gibt Filme, die für die große Leinwand gedreht werden. Und es gibt Filme, die sind fürs Schauen auf dem heimischen Sofa gemacht. Letztere produzieren seit einigen Jahren die Streamingdienste, allen voran Amazon und Netflix. Manchmal kommen dabei Filme heraus, die ganz hervorragend im Kino zu funktionieren (Okja! Roma!), manchmal sollten sie aber besser nur fürs Bingewatchen genutzt werden. "The Ballad of Buster Scruggs" von den Coen-Brüdern ist leider so ein Film für die zweite Kategorie. 

Ursprünglich war das Projekt nicht einmal als Film angedacht. Anfang 2018 wurden die ersten Gerüchte laut, dass die Coen-Brüder eine Miniserie für Netflix produzieren. Es sollten sechs Episoden im Western-Genre sein. Die sind es auch geworden, jede ungefähr 20 Minuten lang. Da Netflix aber seine Serien immer häufiger als ultralange Spielfilme konzipiert, deren Handlungen sich über zehn Episoden und zum Teil mehrere Staffeln ziehen, ist es nur ein weitere konsequenter Schritt, dass die dann auch im Kino als kompletter Film gezeigt werden. Bingewatching als Next-Level-Film sozusagen. Leider ist das Coen-Projekt dafür denkbar schlecht geeignet. Die Chance das Ganze in Venedig starten zu lassen, wollte man sich dann aber wohl doch nicht entgehen lassen. Und so hat man die sechs Episoden zu einem schlecht zusammengekitteten Episodenfilm verwoben. Warum das dann als solcher im Wettbewerb von Venedig präsentiert wird, das weiß Festivaldirektor Alberto Barbera allein. 

Nicht dass man per se etwas gegen die Coens hätte. Das Brüder-Regie-Paar hat ja bereits einige Western gedreht, die gut funktioniert haben, True Grit etwa oder auch No Country for Old Men. Das Genre kommt ihrem harten Humor und den brutalen Schicksalen ihrer Charaktere sogar sehr entgegen. Warum, fragt man sich jedoch schon nach den ersten zwanzig Minuten im Kino, warum haben sie sich dann hier so überhaupt keine Mühe gemacht? The Ballad of  Buster Scruggs blättert durch die sechs Geschichten aus dem Wilden Westen, die nur dadurch lose miteinander verbunden sind, dass sie alle in dem gleichen fiktiven Buch stehen, in das zu Beginn jeder Episode hineingezoomt wird. 

Was dann zu sehen ist, sind reine Kurzgeschichten, teilweise bloße Sketche, die um eine Idee gestrickt sind, ohne irgendwo in die Tiefe zu gehen. So geht das schon in der ersten Episode los: Der Titelgebende Buster Scruggs (Tim Blake Nelson) reitet durch die Wüste von New Mexico. Sein Pferd ist weiß, er trägt einen weißen Anzug, den kein Stäubchen trübt, nur seine Gitarre ist schwarz und auf der klampft er eine Country-Melodie über die Suche nach Wasser. Als er damit fertig ist, stellt er sich direkt mit Blick durch die vierte Wand beim Publikum vor, reitet in den nächsten Saloon, erschießt dort alle anwesenden Outlaws - denn Buster kann nicht nur gut singen, sondern auch gut schießen - und wiederholt ein ähnliches Spiel im nächsten Städtchen, bis er dort einen Gegenspieler trifft, der ihm gewachsen ist. Beide singen noch ein Liedchen zusammen. Ende der Geschichte. Die nächste Bitte. 

Die Coens machen daraus eine reine Fingerübung. Natürlich ist das alles gut geschnitten und toll besetzt (Liam Neeson, Tyne Daly, James Franco). Doch mehr auch nicht. Für die Coens ist dieser Film sogar unter ihrem Durchschnitt. Das zeigt sich am härtesten an einer Szene der Episode „All Gold Canyon“, in der Tom Waits einen Goldgräber spielt. Bevor der ein idyllisches Tal als erster Mensch betritt, liegt dieses unberührt unter der Sonne. Fische schwimmen im Fluß, Schmetterlinge flattern auf Blumen, ein Hirsch äst im Gras. So weit, so gut, wenn man nun wenigstens diesem Hirsch nicht seine Animiertheit ansehen würde. Doch selbst für die simplen Aufnahmen mit echtem Tier hatten sich die Regisseure keine Zeit genommen. Und genau dieses Gefühl, dass das hier ein schnelles Projekt zum Geld verdienen ist, das vermittelt jede einzelne Episode. 

Noch nicht einmal irgendeine Metaebene ist hier zu finden. Irgendeine Aussage, ein roter Faden, der diese losen Erzählungen zusammenhält und einen Sinn gibt. Von der komplett weißen Besetzung und dem Bild der amerikanischen Ureinwohner, die hier durchweg als „die Wilden“ dargestellt werden, mal ganz zu schweigen. (Wenn man hier schon einen Rundumblick auf alle Tropen des Westerngenres - Planwagentrack, Banküberfall, Saloonschießerei - aufmachen will, wo bleibt dann der längst etablierte hinter die Stereotypen vom Unzivilisierten, der die Siedler nur abschlachten will? Niemand erwartet eine Der mit dem Wolf tanzt-Episode von den Coen-Brüdern, aber sie bekommen tatsächlich nicht einmal eine Szene hin, in der sie die amerikanischen Ureinwohner als Menschen zeigen.) 

Mag sein, dass Coen-Fans das auf Netflix unterhaltsam finden und an einem Abend nach der Arbeit weg-bingewatchen. Im Kino, und obendrein als zusammenhängender Film funktioniert das nicht.

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/the-ballad-of-buster-scruggs-2018