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Das Ringen eines Künstlers um die eigenen Stimme, den unverwechselbaren Stil ist nicht gerade der Stoff, der für Experiment und Exzentrik, sondern allenfalls für lendenlahmes Altherrenkino steht. Robert Gwisdek aber verpasst diesem Thema eine Vitaminspritze mit halluzinogenen Ingredienzien.

Der Junge dem die Welt gehört (2023)

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Auf der Suche nach der Poesie der Welt

Eine einsame Villa in Sizilien: Ein junger Musiker namens Basilio (überzeugend verkörpert von Julian Vincenzo Faber, der mit bürgerlichem Namen eigentlich Julian Pollina heißt und den die Musikwelt nur unter seinem Künstlernamen Faber kennt) sucht in diesem abgeschiedenen Ort nach seinen Noten und seinen Worten, um endlich die Musik zu erschaffen, die er sich vorstellt. Doch er hat ein Problem: Die Poesie der Welt, ihr Raunen dringt nicht zu ihm durch, er ist zu sehr in sich gefangen, zu wenig in Kontakt mit dem Draußen, um die Sprache der Welt zu verstehen und in seinen Texten und seiner Musik zu reflektieren. 

Sein älterer Mentor Kasimir ist bei seiner tiefen Sinn- und Kunstsuche auch nur von zweifelhaftem Nutzen. Seine Wortkaskaden und ellenlangen und exaltiert vorgetragenen Monologe sind allerdings (für das Publikum) sehr unterhaltsam. Denis Lavant füllt diese Rolle mit überbordender Energie, die durchaus an seine Rollen in Léos Carax’ Merde (als Teil des Episodenfilms Tokyo!, gemeinsam mit Michel Gondry und Bong Joon-Ho) und eine Sequenz aus Holy Motors erinnert: Inspiration ist hier mal nicht eine sanfte Muse, die den Künstler umarmt und küsst, sondern ein irrer und völlig überdrehter Derwisch-Kobold, der mehr nervt, als hilfreich zur Hand geht, und der Notizzettel mit musikalischen Fragmenten gerne mal aufisst, sodass sich der Musicus nun noch einmal etwas Neues ausdenken muss. 

Nur gelegentlich führen Basilios Wege nach draußen, wobei schon das Überschreiten der Türschwelle, die das Drinnen vom Draußen trennt, sich als schier unüberwindliches Hindernis erweist, das erst mehrmals wiederholt werden muss, um dann leichten Schrittes vollführt werden zu können. Dort sucht er vor allem ein Lebensmittelgeschäft auf, mit dessen Inhaber er sich schnelle und präzise Dialoggefechte voller Witz und Nonsens-Eleganz führt, die wie das federleichte Tänzeln zweier Florettvirtuosen erscheinen. Und dann ist da eines Tages die geheimnisvolle Karla (Chiara Höflich), mit der sich Basilios Welt langsam zu verändern beginnt. 

Auch wenn man zunächst nicht viel um die Umstände der Entstehung von Der Junge, dem die Welt gehört weiß, ahnt man sie doch fast ein wenig: Mitten in der Corona-Pandemie mieteten sich der Schauspieler und Musiker Robert Gwisdek (alias Käptn Peng) mit Mitstreiter*innen in einer verlassenen Villa in Palermo ein, drehten tagsüber und schrieben und musizierten am Abend. Die surreale Abgeschiedenheit dieser Zeit ermöglicht es dem Publikum, den Zauber der normalerweise sehr belebten sizilianischen Hauptstadt ohne Passanten zu erleben. Die Straßen wie auch das Haus atmen Leere und Einsamkeit, sie wirken wie Kulissen in einem allegorisch verrätselten Spiel der Realitäten und Halluzinationen, das aus der Zeit und der Hektik unserer Gegenwart gefallen zu sein scheint.

Der Junge, dem die Welt gehört erinnert nicht allein wegen der traumschönen Schwarzweißbilder (Kamera: Fabian Gamper) an ein Märchen, ein Mysterienspiel, mit all seinen Wiederholungen. Spiegelungen und Variationen an die visuelle Umsetzung eines streng komponierten Musikstücks, zwischen dessen Szenen man zugleich den Geist von improvisatorischer Freiheit und ungehemmten Spieltrieb erspürt. Zugleich meint man in den Szenen, in denen es um die Verbindung der Drinnen- zur Draußenwelt geht, genau jenen Zwiespalt zu erahnen, der die Zeit von Corona im Nachhinein in nicht wenigen Momenten zu einer heute kaum mehr begreiflichen Welt werden lässt. 

Am Ende aber gelingt der Schritt, die Versöhnung von Innen und Außen. Und ähnlich wie seiner Hauptfigur Basilio ist auch Gwisdeks Suchbewegung nach einer ganz eigenen, unverkennbaren Sprache sowohl bei den Bildern wie auch den Dialogen schlussendlich von Erfolg gekrönt — der Film findet und erfindet seine ganz eigene Sprache, seine ihm innewohnende Poesie, sein innerstes Werden und Sein. 

Sicherlich eines der ungewöhnlichsten Filmdebüts der letzten Zeit und in seiner liebevollen Versponnenheit und Exzentrik ein Unikum im deutschen Film. Und so verwundert es kaum, dass dieser Film ohne jegliche Förderung entstand. Denn bei allem Bemühen des deutschen Filmförderwesens nach mehr Kreativität: So viel Experiment ist derzeit durch Entscheidergremien kaum durchzukriegen. Schade eigentlich und umso bemerkenswerter, wenn es wie in diesem Fall doch gelingt.

Der Junge dem die Welt gehört (2023)

Basilio lebt allein in einer verlassenen sizilianischen Villa und schreibt Musik. Er wird von einem mysteriösen Mentor heimgesucht, der ihn mal wie ein Kind mal wie ein alter Mann dazu antreibt, die „wahre Poesie“ zu suchen. Als Basilio wenig später auf die ebenfalls mysteriöse Karla trifft, beginnt sich seine Welt mehr und mehr in ein Gedicht zu verwandeln. (Quelle: Kreisfilm)

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