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Zwischen gedämpftem Licht und flackernden Filmausschnitten inszenierte Alexander Kluge 1983 augenzwinkernde Parabeln. Durch die Erzählungen fließen als roter Faden Gedanken über die Welt der Gefühle.

Die Macht der Gefühle (1983)

Eine Filmkritik von Niklas Michels

Brand im Opernhaus

Alexander Kluges „Die Macht der Gefühle“ aus dem Jahr 1983 ist ein komplexer Film, der uns auf Irrwege bringen kann und selbst eher verschlossen bleibt. Ganz nach dem Prinzip von Andrei Tarkowskis „Stalker“ (1979) sind die Umwege allerdings der einzige Weg, Fortschritt zu machen. Der Film zeigt uns Handlungsfetzen, die beinah von Essayistik aufgefressen werden. Einige Ankerpunkte lassen sich in der Verortung der titelgebenden Gefühle in der Oper finden, die Kluge als „Haus der Gefühle“ bezeichnet, sowie in der großen These: „Das Gegenteil der Gefühle sind die Dinge“. Wer jetzt erstmal von der belehrend klingenden Natur des Films abgeschreckt sein mag, sei unbesorgt. „Die Macht der Gefühle“ ist ein ästhetisches Meisterwerk, in dem sich Diskurs in kleinen Nuancen versteckt statt im erhobenen Zeigefinger. Wie schon Tarkowski blättert Kluge in der Filmgeschichte statt im Kunstbuch und lässt schlussendlich das Haus der Gefühle im zerstörerischen Feuer aufgehen.

Kluges Film hat Episoden. Doch es handelt sich nicht um einen reinen Anthologiefilm. Trotzdem entstehen im Chaos der Bilder immer wieder kleine erzählerische Fragmente, bis sie wieder in ihre abstrakten Einzelteile zusammenfallen. Selbst diese Fragmente unterscheiden sich grundlegend von anderen Anthologiefilmen. Man schaue sich etwa Coffee and Cigarettes (2003) von Jim Jarmusch an, welcher in kleinen Geschichten über den täglichen Genuss der titelgebenden Substanzen erzählt. Vollkommen in Schwarzweiß gehalten, haben diese keinen roten Faden, sondern erzeugen in ihrer Gesamtheit ein gewisses Gefühl – was klassisch für die stylischen Filme von Jarmusch steht. Doch ein solches Gefühl lässt sich bei Kluge nicht so einfach finden. Es wirkt eher, als wären die Erzählungen in Die Macht der Gefühle wie Golems aus den alten Schnipseln der deutschen Expressionismusfilme samt Zetteln im Körper auferstanden und wanderten nun unkontrollierbar umher.

Da ist die Geschichte einer Prostituierten, die gefangen genommen wird, der Diebstahl von Diamanten, ein Mord und eine Anhörung vor Gericht. Das wird angereichert mit etlichen Archivmaterialien, Dokumentarfilm- und Landschaftszenen, bis man Fiktion von Dokumentation, alt von neu und Gefühl von Ding nicht mehr unterscheiden kann. Es bleibt schließlich nichts anderes übrig, als den Wunsch nach einem Spannungsbogen aufzugeben und die filmischen Aphorismen vollends auf sich wirken zu lassen. Und dann plötzlich passiert es; zwei Liebhaber zusammen eingesperrt… hat man das nicht eben in einer anderen Episode schon einmal gehört? Kluges Film ist ein poetisches Konglomerat, das seine große Thematik „die Gefühle“ von allen erdenklichen Seiten betrachtet. Sobald man einzelne kleine Parallelen zwischen den Essayfilmsequenzen und den Erzählungen findet, fließt der Film von selbst. Er lehrt uns, die triviale Idee von Kunst als Verschlüsselung aufzugeben und lieber den assoziativen Verweisen zu folgen. Somit gleicht er eher experimentellen Filmen wie Sans Soleil (1983) von Chris Marker als allem Fiktionalisierten.

Alexander Kluges Filme sind über die Jahre etwas in Vergessenheit geraten. Während Werner Herzog und Wim Wenders immer noch für den Neuen Deutschen Film stehen, hört man Kluges Name viel zu selten im selben Atemzug. Darum ist es umso schöner, dass der Kölner Filmverleih Rapid Eye Movies anhand seiner Reihe „Zeitlos“ diesen Klassiker für ein neues und interessiertes Publikum aufbereitet. Die Macht der Gefühle findet so 41 Jahre später einen verdienten zweiten Kinostart.

In wunderhaften Farben und mit einer mysteriösen Erzählerstimme begleitet uns Die Macht der Gefühle durch einen Zwischenraum der Menschlichkeit. Kluge hat einen Film geschaffen, der immer wieder neu zu befragen ist. Neben all dem Ernst liegt in den parabelhaften Kurzgeschichten auch viel Augenzwinkern: ein Mann mit Lippenstift an den Händen, ein Toter, der durchs Vorlesen wieder lebendig wird und ein gelangweilt rauchender Feuerwehrmann. Die Macht der Gefühle hinterlässt einen mit brodelndem Kopf. Vor dem inneren Auge sieht man das Haus der Gefühle lichterloh brennen.

Die Macht der Gefühle (1983)

In mehr als 20 einzelnen Geschichten zeigt Alexander Kluge in diesem Film die Macht und Ohnmacht der Gefühle und ihre Organisation durch den Verstand.

 

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Meinungen

Thomas · 18.04.2024

Es ist sicher schön, dieses phantastische Stück Kino mal wieder im großen Kino zu sehen.
Ich würde mich auch sehr über eine Wiederaufführung von Sans Soleil von Marker freuen.