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Eine beizeiten unschaubare Verfilmung der als unverfilmbar geltenden literarischen Vorlage von J.G. Ballard, die trotz ihrer Unerträglichkeit ein Meisterwerk des Experimentalfilms darstellt

The Atrocity Exhibition (1998)

Eine Filmkritik von Christian Klosz

Unerträgliches Meisterwerk

Der Verleih Rapid Eye Movies schenkt in seiner Filmreihe Zeitlos Jonathan Weiss’ J.G. Ballard-Verfilmung „The Atrocity Exhibition“ aus dem Jahr 1998 ein zweites Leben. Zurecht, denn das Werk lässt sich als verkanntes, vergessenes Meisterwerk bezeichnen. Die Grundlage bildet Ballards gleichnamiges Skandal-Buch, 1970 erschienen und auch unter dem Namen Love and Napalm: Export USA bekannt. Weiss drehte 2 Jahre an verschiedenen Schauplätzen, verwarf eine erste Fassung, schnitt sie neu, bis das finale Werk 1998 erstmals zu sehen war.

Der Autor der literarischen Vorlage bezeichnete sein Werk selbst als unverfilmbar, was der experimentellen Struktur geschuldet ist: The Atrocity Exhibition besteht aus eigenständigen Unterkapiteln, dramaturgisch unzusammenhängenden Kurzgeschichten, die nur assoziativ und thematisch verbunden sind.

Regisseur Weiss gelang es trotzdem, daraus einen sehenswerten, meisterhaft inszenierten, zugleich zeitweise unerträglichen Film zu schaffen. Grob handelt er von einem Uni-Professor namens Talbert, den – nun offenbar Insasse einer Psychiatrie – das größenwahnsinnig-nihilistische Unterfangen antreibt, den dritten Weltkrieg auszulösen, wenn auch nur in seinem Kopf (man weiß oft nicht, ob die dargestellten Handlungen real stattfinden oder nur in den Gedanken Talberts).

Auf dem Weg dorthin stellt er die Traumata der US-Gesellschaft – den Tod von Marilyn Monroe, den Vietnam-Krieg, die Ermordung Kennedys – (künstlerisch) nach, um eine „persönliche Beziehung“ zu ihnen aufzubauen. Dafür nutzt er seine Studenten, seine Geliebte, diverse Utensilien und Orte. Sein ehemaliger Kollege (oder doch Psychiater?) Dr. Nathan heftet sich auf Talberts Fersen, um dessen pathologisches Experiment zu verfolgen und zu dokumentieren.

Diese Handlung ist nicht als solche zu verstehen: The Atrocity Exhibition ist im Grunde eine 100-minütige Aneinanderreihung von thematisch und assoziativ verbundenen Sequenzen, aber ohne jegliche erzählerische Struktur. Auch die von Weiss dafür verwendeten Techniken und Bilder sind vielfältig. Er mischt Aufnahmen aus dem Uni-Hörsal, Aufnahmen von Dr. Nathan, der sich (und dem Publikum) die Vorgänge zu erklären versucht, Aufnahmen von Operationen, Einstellungen von Talbert bei seinen Experimenten, beim Sex mit einer ominösen Schwarzhaarigen und ältere, dokumentarische Bewegtbildern aus dem Fundus der amerikanischen (Medien-)Geschichte.

Hinzu kommen, vor allem im Mittelteil, wiederholt Sequenzen mit Autounfällen. Hier ergibt sich auch ein seltener Anknüpfungspunkt für das Publikum, da die Bedeutung der Szenen zumindest im Ansatz erläutert wird: Es geht um die Idee von Autocrashs als sexuelle, erregende Akte, um eine perverse Obsession. Und die kennt man aus David Cronenbergs um einiges bekanntere Ballard-Verfilmung Crash, die ausschließlich von diesem morbiden Motiv handelt.

Überhaupt lassen sich einige Parallelen zwischen den beiden Filmen erkennen, nicht nur thematisch: Wer den eigenwilligen (aber zugänglicheren) Crash gut fand, wird auch mit diesem Werk etwas anfangen können. Mit der anderen, prominenten Ballard Verfilmung, Stephen Spielbergs Empire of the Sun, hat The Atrocity Exhibition allerdings recht wenig gemein.

J.G. Ballard selbst sagte, später in seinem Leben, dass The Atrocity Exhibition ein Versuch gewesen sei, persönliche Krisen zu verarbeiten und ihnen Sinn zu geben. Konkret sprach er vom frühen Tod seiner Frau, die ihn und ihr (Klein-)Kind alleine zurückgelassen habe. Der (Um)Weg, diese zutiefst individuellen Traumata zu verarbeiten, sei es gewesen, die Traumata der US-Gesellschaft literarisch-poetisch zu verarbeiten, in Form einer persönlichen Bezugnahme. Ebenso wie es Ballards Protagonist Talbert tut.

Das Endergebnis ist nichts für schwache Nerven und schon gar nichts für anspruchslose Gemüter. The Atrocity Exhibition ist eine ständige Herausforderung, eine geniale filmische Zumutung, zeitweise unerträglich und zugleich meisterhaft. Tolle, immersive Einstellungen, im höchsten Ausmaß filmisch und umso wirkungsvoller, da sie jeglichen dramaturgischen Kitts beraubt wurden, sind der Lohn für jene, die sich dieser Aufgabe stellen.

The Atrocity Exhibition (1998)

J.G. Ballard hatte einmal gesagt, dass The Atrocity Exhibition seine einzige Novelle ist, die er für nicht verfilmbar hält. Solange, bis Jonathan Weiss seine Adaption dieser berüchtigten Arbeit schuf. Eine experimenteller Dichtung, die Ballard als poetisches Meisterwerk lobte. Mit seinem Kollegen Dr. Nathan und seiner Geliebten stellt Universitätsprofessor Travis Talbert die schändlichen Grausamkeiten der Menschheit aufwendig nach, wobei Talbert es für die ultimativ nihilistische Aussage hält, den Dritten Weltkrieg auszulösen.

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