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In „Miss Holocaust Survivor“ begleitet Radek Wegrzyn die Teilnehmerinnen eines ungewöhnlichen Schönheitswettbewerbs – und widmet sich deren Lebensgeschichten.

Miss Holocaust Survivor (2023)

Eine Filmkritik von Andreas Köhnemann

Eine Feier des (Über-)Lebens

Ein Schönheitswettbewerb, an dem ausschließlich Frauen teilnehmen, die den Holocaust überlebt haben – diese Idee wurde einerseits als „eine makabre Veranstaltung“ kritisiert und andererseits als „Befreiung“ empfunden, die dabei helfen könne, das jahrzehntelange Schweigen zu brechen. Der 1977 in Polen geborene Regisseur Radek Wegrzyn begleitet in seinem Dokumentarfilm „Miss Holocaust Survivor“ die Teilnehmerinnen, die Jury und das organisatorische Team des Wettbewerbs, um einen Eindruck des umstrittenen Events zu gewinnen.

Spannend sind dabei zunächst einmal die Hintergründe, die zu der Idee führten. Ausgangspunkt war ein Altenheim für Holocaust-Überlebende in der nordisraelischen Hafenstadt Haifa. Dort lebt ein Großteil der Frauen, die an dem Wettbewerb teilnehmen. Der Heimgründer Shimon Sabag spricht davon, die Frauen aus der Opfer-Schublade herauszuholen. Und auch die Traumatherapeutin und Wettbewerbsinitiatorin Dr. Izabela Grinberg meint, es gehe darum, den Teilnehmerinnen die Chance zu bieten, „etwas zu erleben, was ihnen in ihrer Jugend verwehrt geblieben ist“.

Die negativen Stimmen, die es bezüglich der Veranstaltung gibt, werden im Laufe des Werks durchaus thematisiert. Der Einblick erlaubt es uns, zu einem eigenen Urteil zu kommen. Miss Holocaust Survivor ist kein Werbefilm, der uns mit allen Mitteln zu überzeugen versucht. Vor allem in den Gesprächen mit und zwischen den Frauen, die um die Krone konkurrieren, wird jedoch deutlich, dass die genannten Intentionen des Wettbewerbs ihre Wirkung zeigen. Wenn die Teilnehmerinnen etwa in einer Vorstellungsrunde ihr hohes Alter nennen und dafür anerkennenden Applaus erhalten, ist klar: Hier geht es um eine Feier des (leider) keineswegs selbstverständlichen (Über-)Lebens.

Wenn die Frauen die Bühne betreten, wird der Song I Will Survive von Gloria Gaynor gespielt. Nichts von dem, was diesen Frauen und allen anderen Jüd:innen zur Zeit des Zweiten Weltkriegs widerfahren ist, kann jemals wettgemacht werden. Die zwölf Frauen im Alter von 77 bis 95 Jahren, die im Rahmen der Veranstaltung über den Laufsteg flanieren, gehören zur letzten Generation der Holocaust-Überlebenden.

Indem Wegrzyn zusammen mit seinen Kameramännern Matthias Bolliger und Ciril Tscheligi zwei sehr unterschiedliche Protagonistinnen – Rita (84) und Tova (93) – näher betrachtet, hebt er zudem hervor, dass es nicht das eine typische Schicksal einer jüdischen Person zur damaligen Zeit gibt, sondern völlig verschiedene Biografien und auch Wege, mit der Vergangenheit umzugehen. Durch den Terrorangriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 ist Miss Holocaust Survivor traurigerweise hochaktuell. Der Film zeigt, wie Holocaust-Überlebende in Israel oft unterhalb der Armutsgrenze leben – und wie sie versuchen, ihre Traumata zu verarbeiten.

Miss Holocaust Survivor (2023)

„Steh aufrecht, schenke den Menschen ein Lächeln und zeige ihnen, dass wir noch am Leben sind.“

Vierzehn Frauen im Alter von 78-93 Jahren flanieren über einen Laufsteg und werden für ihr Leben gefeiert. Sie tragen ihre schönsten Kleider. Schmuck und Make-up zieren gealterte Gesichter und zerbrechliche Körper. Es ist der einzige Schönheitswettbewerb der Welt, in dem es auf innere statt äußere Schönheit ankommt, denn die Frauen haben eines gemeinsam: Sie gehören der letzten Generation der Überlebenden des Holocaust an.

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