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Toni, die vor 20 Jahren als Sängerin einen Hit landete, startet mit Anfang 40 neu – und das als fünffache Mutter. Mit „So sind wir, so ist das Leben“ legt Nathan Ambrosioni einen mit Leichtigkeit erzählten feministischen Familienfilm vor.

So sind wir, so ist das Leben (2023)

Eine Filmkritik von Stefanie Borowsky

Toni denkt endlich an sich

In „Pas qu’un peu“ („Nicht nur ein bisschen“), Tonis erfolgreichstem Hit, singt sie über eine freie Frau, die man nicht zähmen kann, die im Gegenteil die Macht in Händen hält und ihrem Schicksal folgt. Doch ihr Lied ist 20 Jahre alt und frei und unabhängig ist Antonia (Camille Cottin), genannt Toni, nicht gerade geworden. Nach ihrer Teilnahme an der Fernseh-Gesangsshow, zu der ihre Mutter sie Anfang der 2000er drängte, und einer nicht lange währenden Karriere als Sängerin bekam sie in kurzem Abstand fünf Kinder, für die sie mittlerweile allein sorgen muss – und die den Song mit einer Mischung aus Stolz und Belustigung mitschmettern, wenn er mal wieder im Autoradio läuft.

Jetzt, mit 42, singt Toni nur noch abends in einer Bar – mit mäßigem Erfolg. Ihre ältesten Kinder, die talentierte Tänzerin Mathilde (Léa Lopez) und der eifrige YouTuber Marcus (Thomas Gioria), stehen kurz vor dem Abitur und müssen sich für Unis entscheiden. Beim Anblick der vielen verschiedenen Studiengänge und Möglichkeiten wird Toni klar: Sie möchte endlich mehr als „nur“ die fürsorgliche Mutter sein, die rund um die Uhr für ihre drei Töchter und die beiden Söhne im Einsatz ist, und ihre eigenen Ziele verfolgen. Doch so einfach ist das nicht, denn die fünf Teenager*innen haben ihre jeweils eigenen Bedürfnisse – und Schwierigkeiten.

Regisseur Nathan Ambrosioni, der auch das Drehbuch zu So sind wir, so ist das Leben schrieb, setzt in der im südfranzösischen Grasse, seiner Geburtsstadt, angesiedelten Geschichte einer Emanzipation auf die preisgekrönte Schauspielerin Camille Cottin, bekannt etwa aus der Literaturverfilmung Der geheime Roman des Monsieur Pick oder der international erfolgreichen Serie Call My Agent!. Cottin trägt – unterstützt von den fünf überzeugenden jungen Darsteller*innen, die ihre Kinder spielen, darunter Léa Lopez von der Comédie Française – den Film durch ihre glaubwürdige, nahbare Darstellung einer fünffachen Mutter mit dem dringenden Wunsch nach Unabhängigkeit.

In von Familien- und Gruppenporträts der US-amerikanischen Fotografinnen Justine Kurland und Jessica Todd Harper inspirierten Totalen inszeniert Ambrosioni eine energiegeladene, grundsätzlich harmonische, chaotisch-liebenswerte Großfamilie, die oft komplett im Bild ist: ob beim gemeinsamen Essen, dem abendlichen Fernsehen, zusammengedrängt auf dem Sofa, in den Kinderzimmern oder vor dem Supermarkt, wenn Toni und ihre Sprösslinge in farbenfrohen Long Shots, die bildkompositorisch an Sean Bakers The Florida Project erinnern, Unmengen an Lebensmitteln zum Auto schieben und schleppen. Auf dem Parkplatz vergisst Toni auch schon mal eins ihrer Kinder, ganz wie in Valerie Faris’ und Jonathan Daytons Little Miss Sunshine. Dazu passt, dass Ambrosioni seine Protagonistin nach Toni Collette benannte, deren Arbeit er schätzt und die in Little Miss Sunshine die Mutter einer nicht ganz einfachen Familie spielt.

Ambrosioni bleibt nah an Toni und deren Perspektive, die sich immer mehr öffnet, wenn die Alleinerziehende neue Menschen und Orte in ihr Leben lässt. Statt sich fast ausschließlich und bis zur Erschöpfung um ihre Familie zu kümmern und sich im aufreibenden Alltag zwischen Haushalt und Kinder-Fahrdienst selbst zu verlieren, bricht Toni im Verlauf der Handlung im Wortsinn endlich aus – aus der Familienwohnung, in der es immer etwas zu tun gibt, aus dem Auto, in dem sie ihre gut eingespielte Großfamilie täglich herumkutschiert, und aus der toxischen Beziehung zu ihrer Mutter, von der sich Toni lange hat fremdbestimmen lassen. Sogar den Namen Toni, unter dem sie ihre kurze Karriere als Sängerin machte, suchte ihre Mutter für sie aus. Doch im Laufe der Handlung wird aus Toni langsam wieder Antonia, die ihre eigenen Entscheidungen trifft.

Allein ist sie unterwegs in der lichtdurchfluteten Stadt und besucht einen Kurs zur beruflichen Neuorientierung. Sie plant ein Studium, möchte Lehrerin werden, muss in der Vorbereitung dessen allerdings feststellen, auf wie viel Irritation und wie wenig Unterstützung eine Frau über 40 stößt, die sich nicht länger allein auf die Mutterrolle festlegen lassen und noch einmal neu starten will – und das Potenzial dazu durchaus mitbringt. Selbst die Kinder müssen sich erst einmal darauf einstellen, dass ihre Mutter plötzlich eigene Wege geht. Nathan Ambrosionis Hauptfigur darf zwischendurch – nicht nur aufgrund finanzieller Sorgen – auch an ihren Plänen zweifeln, ohne deshalb etwas von ihrer Stärke einzubüßen.

Mit So sind wir, so ist das Leben, seinem zweiten Langfilm, legt der 1999 geborene Regisseur, der bereits mit 21 Jahren begann, das Drehbuch zu schreiben, einen erfrischend leichten und dennoch eindrücklichen feministischen Film über eine Frau vor, die sich traut, nach 20 Jahren Kindererziehung sich selbst, ihre eigenen Träume und Lebensvorstellungen zu verwirklichen – und die dazu keine männliche Bestätigung braucht. Denn glücklicherweise verzichtet Nathan Ambrosioni auf eine Liebesgeschichte als Nebenplot und lässt seiner Protagonistin die – neu gewonnene – Freiheit, sich ganz auf sich selbst zu konzentrieren – et pas qu’un peu, und nicht nur ein bisschen.

So sind wir, so ist das Leben (2023)

Toni hat ihre fünf Kinder alleine aufgezogen, was ein Fulltime-Job ist. Nebenbei singt sie noch in Bars und hatte vor 20 Jahren eine Hitsingle. Nun bereiten sich zwei Ihre Kinder auf die Hochschule vor und Toni steht vor der Frage, was sie tun wird mit ihrem Leben, wenn der Nachwuchs ausgezogen ist.
 

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Meinungen

jürgen hempel · 02.01.2024

Wie heißt der letzte Song des Films im Abspann ?