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In „Wild wie das Meer“ erzählt Héloïse Pelloquet von einer Affäre in einem Fischereiort – und lässt vor allem Cécile de France glänzen.

Wild wie das Meer (2022)

Eine Filmkritik von Nathanael Brohammer

Auf dem Fischkutter

Héloïse Pelloquet berührt in ihrem Spielfilmdebüt Themenfelder, die im Kino verhältnismäßig selten Aufmerksamkeit erfahren: Frauen, die sich in prekären Berufen betätigen, sowie tabuisierte Beziehungen zwischen reifen Frauen und deutlich jüngeren Männern. Das Drama „Wild wie das Meer“ verdrahtet nun Milieustudie mit verhängnisvoller Age-gap-Affäre vor der schroffen französischen Atlantikküste. Eine originelle Prämisse für ein romantisches Drama. Anstatt sich jedoch wagemutig in die aufschäumenden Wellen zu stürzen, rudert der Film in der zweiten Hälfte in seichte Gewässer zurück.

Die ersten Blicke, die Chiara (Cécile de France) mit dem jungen Maxcene (Félix Lefebvre) austauscht, sind unzweideutig. Abends, als sie mit ihrem Mann zu Bett geht, rätselt sie noch schmunzelnd, wie viel die Villa kosten mag, aus der sie den neuen Auszubildenden für ihren Fischereibetrieb abgeholt hat. Doch der Sprössling aus reichem Hause nimmt seine Lehre unter den Fittichen des eingespielten Fischer-Ehepaars unerwartet ernst. Die erste Seekrankheit spuckt er unbeeindruckt über Bord und erringt sich durch seine „Courage“ nicht zuletzt den Respekt von Chiaras Gatten. Abends, wenn die rauen Gesellinnen und Gesellen nach getaner Arbeit einen heben, punktet er wiederum mit seinem verschmitzten Charme, der auch Chiara nicht verborgen bleibt.

Es ist eine schauspielerische Glanzleistung, wie die stets zuverlässige Alleskönnerin Cécile de France die Gratwanderung von anfänglicher Sympathie über zaghaftes Interesse bis hin zu schambehaftetem Begehren meistert. Spätestens als Maxcene auf einer Hochzeit, der sie gemeinsam beiwohnen, die Oboe auspackt, sieht man sie innerlich zu seiner verheißungsvollen Küste schwimmen und die schwieligen Pranken ihres Mannes gegen die zarten Aristokratenhände Maxcenes austauschen. Später, betrunken, stehlen sie sich heimlich von der Hochzeitsgesellschaft davon. Kurz vergessen sie sich, fallen ungestüm übereinander her. Ein halbminütiger Zwischenakt. Direkt darauf schärft Chiara ihm ein: „Das ist niemals passiert!“ Spätestens als ihr Ehemann dann für mehrere Wochen verreist, um bei der Politik im Zuge des Brexit bessere Bedingungen für die Fischerei zu verhandeln, schwant: Das Gewitter eines Skandals zieht herauf.

Oder eben auch nicht. Nicht so richtig jedenfalls. Zugegeben, selbst im Kino muss nicht immer alles hochdramatisch hergehen. Doch nachdem Regisseurin Héloïse Pelloquet mehrere vielversprechende Fährten und zwei so dermaßen gegensätzliche Figuren – sowohl alterstechnisch als auch in Hinsicht auf die Gesellschaftsklasse bezogen – in Position gebracht hat, umschifft die Handlung zwar sehr behutsam die reine Sensationslüsternheit, plätschert aber auch sonst allzu vorsichtig in eher vorhersehbaren Bahnen vor sich hin.

Während Fischkutter und Kühlhallen ein eigentlich erfrischend unromantisches Setting für eine unkonventionelle Liebesgeschichte liefern, wird gerade deren Bevölkerung vernachlässigt. Das maritime Leben, in das man zu Beginn noch Einblicke erhält, rückt fortschreitend immer mehr in den Hintergrund. Wie genau die Gerüchteküche im Fischereiort zum Brodeln und dann klanglos wieder zum Erliegen kommt und auf ein unwahrscheinlich versöhnliches Ende zuläuft, ist angesichts des Potenzials vor der Kamera etwas unbefriedigend. Auch die (als solche dargestellte) Emanzipation der Hauptfigur aus einer zufriedenen 20-jährigen Ehe und Umständen, die zu Anfang als gar nicht mal so beklagenswert gezeichnet sind, wirkt nicht vollständig durchdacht. Zurück bleibt vor allem die beeindruckende Performance Cécile de Frances, die uneitel und sinnlich über so manche Inkonsistenz hinwegspielt.

Wild wie das Meer (2022)

Chiara lebt auf einer Insel an der Atlantikküste, wo ihr Mann Antoine aufgewachsen ist. Sie sind ein glückliches und verliebtes Paar. Sie hat Antoines Beruf, das Fischen, erlernt und arbeitet seit 20 Jahren an seiner Seite. Die Ankunft von Maxence, einem neuen Lehrling, bringt ihr Gleichgewicht und Chiaras Gewissheiten ins Wanken… 

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