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Uwe Johnson ging als kauziger Sonderling in die deutsche Literaturgeschichte ein. Nirgendwo zu Hause, suchte der Ex-DDR-Bürger in West-Berlin, New York und vor allem England (s)eine neue Heimat. Volker Koepp reist noch einmal zu Johnsons realen wie literarischen Fixpunkten.

Gehen und Bleiben (2023)

Eine Filmkritik von Simon Hauck

Mutmaßungen über Uwe

„Wohin ich in Wahrheit gehöre, ist die dichtumwaldete Seenplatte Mecklenburgs. (…) Es ist eine Täuschung und fühlt sich an wie Heimat.“ So schrieb Uwe Johnson über das Thema Heimat in seinem monumentalen Romanzyklus „Jahrestage“. Die Urteile über den durch und durch in Norddeutschland sozialisierten Schriftsteller (geboren am 1934 in Cammin in Pommern, gestorben 1984 im englischen Sheerness on Sea) mit zeitweiliger Weltgeltung (vor allem für besagten Romanzyklus) gehen im literaturgeschichtlichen Diskurs bis in die Gegenwart hinein weit auseinander. Während er für die einen ein zentraler und immer noch zu wenig beachteter „Dichter beider Deutschland“ war, ist er für die anderen ein kaum lesbarer, geschweige denn rezipierbarer oder übersetzbarer Kauz, der zurecht selten im Bildungskanon auftaucht. 

Kein Wunder, dass ihn manche aufgrund dieses ambivalenten Grundstatus regelmäßig in eine Reihe mit Arno Schmidt, Wolfgang Koeppen oder Ingeborg Bachmann stellen, deren unvollendete Spätwerke gleichfalls mannigfaltige Sollbruchstellen aufweisen, was ihren Ruhm nur noch mehrte. Deren treue Leserschaft oftmals ratlos bis angewidert zurückblieb, nur um dann trotzdem noch einmal zu diesen letzten Werken zu greifen: Vielleicht fände sich ja gerade darin die literarische Stecknadel, um den Werkkosmos der außergewöhnlich eigensinnigen Wortkünstler*innen in toto besser zu verstehen. 

Wer war nun jener frühe Wunderknabe („Mutmassungen über Jakob“; 1959) der Gruppe 47, der biografisch tief mit der Ostseelandschaft verbunden war, aber trotz allem weder in der DDR noch in der BRD oder im englischsprachigen Ausland wirklich sesshaft wurde? Wer war jener früh dem Alkohol verfallene Mann mit Pfeife, runder Brille und hoher Stirn, der wiederkehrend von Selbstzweifeln und Schreibblockaden gepeinigt wurde, während ihn zur gleichen Zeit die Alphatiere der westdeutschen Literaturszene (allen voran Günter Grass, Marcel Reich-Ranicki und Max Frisch) hoch schätzten? 

Der große Dokumentarfilmregisseur Volker Koepp (Herr Zwilling und Frau Zuckermann), der 1944 ebenfalls in Pommern geboren wurde, reist in seiner fast dreistündigen Hommage an Uwe Johnson Gehen und Bleiben noch einmal zurück zu zentralen Stationen im Leben des literarischen Unikums. Beide, Johnson und Koepp, sind zu Recht fürs Beobachten und Mäandern bekannt, beide haben trotz mancher Vorbehalte eine treue Fanbase.

Auch dieser jüngste Volker-Koepp-Film fügt sich fabelhaft in das inzwischen ausufernde Gesamtwerk des bald 80-jährigen Filmemachers: Zwangsläufig verbindet er die Geschichte Johnsons mit deutsch-deutscher Geschichte und auch aktuellen Themen der internationalen Sicherheitspolitik – der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine begann während der mehrjährigen Dreharbeiten von Gehen und Bleiben. Einmal wieder beweist er ein gutes Gespür für Menschen, Orte, Begegnungen, Landschaften, Erinnerungen und mancherlei „Mutmaßungen“.

Ergänzt durch namhafte O-Ton-Geber, die vom Goldberger Peter Kurth bis zum Nossendorfer Hans-Jürgen Syberberg reichen, aber auch durch manche visuelle und narrative Sprünge, die man so eher selten von Koepps kreativer Stammmannschaft kennt, gleicht Gehen und Bleiben in seinem Kern einer Reise ohne Anfang und ohne Ziel. Das hätte dem posthum geehrten Literaten, selbst ein Weltenwanderer zwischen gedanklichen Grenzen und sprachlichen Systemen, in der Summe sicherlich gefallen.

Denn nur wer sich in Uwe Johnsons faszinierende Prosawelten unumwunden hineingleiten lässt, wird darin überhaupt Fuß fassen können. Und ebenso in Koepps spezifischem Dokumentarfilmkosmos, der seit jeher primär ums Suchen kreist: Ankommen? Ausdrücklich ausgeschlossen. Schließlich ist Heimat in Volker Koepps Bilderwelten oft nur ein Gefühl. Was bleibt, sind äußere und innere Fluchten. Gerade jenes Driften zwischen Geschichte(n), Schmerz(en) und Erinnerung(en) prägt Koepps Spätwerk umso mehr. Wer weiß, wohin ihn seine nächste Reise führt? Einen Kompass wird er sicherlich wieder zu Hause lassen. Vermutlich ganz im Sinne Johnsons, der einmal schrieb: „Wo ich her bin, das gibt es nicht mehr. (…) Geschichte ist ein Entwurf.“

Gehen und Bleiben (2023)

Motive des Gehens und Bleibens und die Auseinandersetzung mit deutscher Geschichte durchziehen das Werk von Uwe Johnson (1934-1984), mit dessen Texten Volker Koepp in die biografischen und literarischen Gegenden des Schriftstellers reist. Vor allem geht es in den Nordosten Deutschlands, zu Menschen, die von ihrem Leben in der unmittelbaren Gegenwart, von ihren Erinnerungen, vom Ausharren an den Orten ihrer Herkunft, vom Fortziehen und auch von Uwe Johnson erzählen. (Quelle: Salzgeber)

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