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Ein von viel Melancholie umwehter Gérard Depardieu stapft als erschöpfter Polizist durch eine Romanadaption nach Georges Simenon, der die berühmte Ermittlerfigur Maigret erfand. Das überzeugende Spiel des Hauptdarstellers ist leider eingebettet in einen dürftigen Krimiplot.

Maigret (2022)

Eine Filmkritik von Christopher Diekhaus

Müde, aber hartnäckig

Gérard Depardieu ist ein Filmgigant, ein Star des französischen Kinos, fällt abseits der Leinwand aber immer wieder unangenehm auf. Negative Presse brachte ihm in den letzten Jahren etwa seine demonstrativ zur Schau gestellte Nähe zu Wladimir Putin ein. Hohe Wellen schlug außerdem eine von der Schauspielerin Charlotte Arnould erstattete Anzeige wegen Vergewaltigung aus dem Sommer 2018. Nachdem die Staatsanwaltschaft das Verfahren zunächst wegen mangelnder Beweise eingestellt hatte, erwirkte die junge Frau 2020 eine Wiederaufnahme, die im März 2022 von der Justiz aufgrund schwerwiegender Indizien bestätigt wurde. Auch ein Jahr später scheinen die Ermittlungen noch zu laufen. Über einen Abschluss ist jedenfalls nichts bekannt.

Wenngleich für Depardieu selbstredend erst einmal die Unschuldsvermutung gilt, bekommt die Romanadaption Maigret, in der er Georges Simenons berühmten Pariser Ermittler verkörpert, im Wissen um die Vorwürfe einen seltsamen Beigeschmack. Nicht nur grundsätzlich, sondern auch, weil die sehr freie Verfilmung des Buches Maigret und die junge Tote ganz konkret von der sexuellen Ausbeutung junger, mittelloser Frauen erzählt und eine dieser Damen dem deutlich älteren Protagonisten in einer Szene Liebesdienste anbietet, die er jedoch, ohne Worte zu verlieren, ablehnt.

Jenseits dieser Irritationen fällt auf: Depardieu ist nach wie vor ein ausdrucksstarker Darsteller, vermag es, mit Präzision und kleinen Gesten ein spannendes Charakterporträt zu entwerfen. Der schlichte, von der Romanvorlage abweichende Titel deutet es schon an. Regisseur Patrice Leconte (Nur eine Stunde Ruhe!), der zusammen mit Jérôme Tonnerre das Drehbuch schrieb, geht es hier nicht nur um ein Verbrechen, das gelöst werden will. Mindestens ebenso wichtig sind ihm der Ermittler und sein Befinden, das nicht von ungefähr gleich zu Beginn thematisiert wird. Maigret fühlt sich müde, verspürt fast keinen Appetit mehr und erhält von seinem Arzt (Hervé Pierre) eindringliche Ratschläge: Schleunigst solle er beruflich kürzer treten und sofort mit dem Rauchen aufhören. Gerade Letzteres ist für den Pfeifenliebhaber eine echte Pein.

Sein Arbeitspensum drosselt er vorerst nicht. Im Gegenteil, der brutale Mord an einer unbekannten jungen Frau (Clara Antoons) lässt ihm keine Ruhe, fasst ihn besonders an, da das Verbrechen – so wird dezent, vielleicht etwas zu dezent, erzählt – schmerzhafte Erinnerungen weckt. Von seiner Erschöpfung geplagt, stapft Maigret durch ein merkwürdig menschenleeres Paris und findet heraus, dass die Tote mit großen Hoffnungen vom Land in die Metropole flüchtete, nur um dort hart zu landen. Ganz ähnlich scheint es der ungefähr gleichaltrigen Betty (Jade Labeste) zu gehen, auf die der Kommissar bei seinen Nachforschungen aufmerksam wird und die er kurzerhand in der Wohnung der Ermordeten unterbringt.

Depardieu spielt Simenons Polizisten, der sich vor allem für psychologische Aspekte interessiert, Opfer und Täter*innen genauestens verstehen will, als einen stillen Grübler, dem die Schlechtigkeit der Welt zusetzt, der aber dennoch weitermacht. Mit seiner leisen, brüterischen Performance verleiht der Kinoveteran dem Film eine melancholische Note und gleicht damit, zumindest ein wenig, die Schwächen des Drehbuchs und der Inszenierung aus. 

Die Idee, Maigrets Müdigkeit im Handlungstempo zu spiegeln und nicht blind aufs Gaspedal zu drücken, ist eigentlich nicht schlecht. Zu träge sollte es allerdings auch nicht werden. Immer wieder gibt es arg kraftlose Passagen. Und anders als die Hauptfigur bleiben die Nebencharaktere eher skizzenhaft. Was wiederum zur Folge hat, dass Leconte und Tonnerre die Hintergründe des wendungsarmen Mordfalls bloß anreißen können. 

Passend dazu lässt sich leider keine besonders aufregende visuelle Konzeption ausmachen. Maigret kommt in grauen, ausgewaschenen, auf Dauer etwas eintönigen Bildern daher. Dass die Kamera manchmal von einer plötzlichen Nervosität erfasst wird, wirkt willkürlich. Fast so, als habe Leconte beim Dreh erschrocken festgestellt, dass der behäbige Krimi zwischendurch etwas Dynamik braucht. Depardieus zurückgenommene, aber fesselnde Darbietung hätte definitiv einen besseren Film verdient gehabt.

Maigret (2022)

Paris in einer verregneten Nacht: Eine junge Frau wird tot aufgefunden. Kommissar Maigret beugt sich pfeiferauchend über ein zerfetztes, blutverschmiertes Abendkleid. So beginnt eine der bekanntesten und raffiniertesten Kriminalgeschichten aus der Feder Georges Simenons. Kein geringerer als Gérard Depardieu lässt den grüblerischen Kommissar als schwermütigen Menschenfreund in einer elenden Welt wieder auferstehen. Von seinem Büro am Quai des Orfèvres, gestärkt von belegten Broten und Bier aus der Brasserie Dauphine, nimmt Maigret die Fährte auf: telefoniert, studiert, versteht. Methodisch rekonstruiert er die einsamen Wege einer schönen jungen Frau durch ein kaltherziges Paris. Niemand scheint sie zu kennen oder zu vermissen, aber ihre Beziehung zu einem Pärchen aus der Pariser Bohème gibt Rätsel auf. Maigret betritt ein Leben der verzagten Hoffnung und leisen Verzweiflung. In dem Kommissar, sonst ein Bollwerk gegen die Gesetzlosigkeit, regt sich die Erinnerung an ein anderes Verschwinden, das ihn tiefer berührt als jedes Verbrechen dieser Welt.

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