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Blick über den Tellerrand: "As Dusk Falls"

Ein Beitrag von Christian Neffe

Blicke über den Tellerrand sind prinzipiell empfehlenswert. Im Alltag, beim Gang ins Kino und auch für uns als Redaktion. Weshalb wir an dieser Stelle ausnahmsweise mal nicht über einen Film oder eine Serie schreiben wollen, sondern ein Videospiel: As Dusk Falls.

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As Dusk Falls
As Dusk Falls

As Dusk Falls ist allerdings — das sei gleich gesagt — auch und vor allem für Film- und Serien-Fans interessant. Denn diese Visual Novel ist weniger ein Spiel im eigentlichen Sinne, sondern eine interaktive Erzählung mit Fokus auf eine vielschichtige Charakterzeichnung und schwerwiegende Entscheidungen — was ihm überaus gut gelingt.

Schauplatz von As Dusk Falls ist eine Kleinstadt in Arizona im Jahr 1998. In einem Motel an der dortigen Route 66 trifft eine durchreisende Familie ein und wird wenig später, zusammen mit dem Personal, von drei Brüdern als Geiseln genommen, die zuvor das Haus des örtlichen Sherriffs ausgeraubt haben und nun auf der Flucht sind. Es kommt zur Belagerung durch die Polizei, Schusswechseln, Todesopfern — und schließlich zur Flucht, die je nach zuvor gefällten Entscheidungen recht unterschiedlich verlaufen kann. Ein weiterer Handlungsstrang entspinnt sich 14 Jahre später, nimmt allerdings nur einen kleinen Teil des letzten der insgesamt sechs einstündigen Kapitel ein.

 

„True Detective“-Atmosphäre

Die episodische Struktur gepaart mit der schwermütigen US-Hinterland-Atmosphäre weckt sofort Erinnerungen an True Detective, die Staatsgewalt nimmt hier allerdings nur eine kleine und auch lediglich antagonistische Rolle ein. Als Spieler*in übernimmt man im Laufe der Gegenwartshandlung und mehrerer Rückblenden die Kontrolle über fünf Figuren, der wesentliche Anteil kommt dabei dem Familienvater Vince (Elias Toufexis) und Jay (Ryan Nolan) zu, dem jüngsten der drei Gangster-Brüder, der von seinen Geschwistern immer wieder drangsaliert wird. Es wird also auf Pro- und Antagonisten-Ebene gespielt, und das immer aus einer Position der Machtarmut heraus, als Opfers der Umstände — ein Gegenentwurf zu anderen Spielen, die uns in der Regel mit möglichst viel Macht ausstatten wollen.

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Weshalb es sich auch niemals unfair anfühlt, wenn die zahlreichen Entscheidungen ethischer und pragmatischer Natur letztlich anders ausgehen, als zunächst angenommen. Und die fallen in aller Regel verdammt schwer aus, weil dem Autor*innenteam eine hervorragende Charakterzeichnung gelingt. Die entfaltet sich in den Dialogen und den Rückblicken und entblättert nach und nach immer mehr Facetten der Figuren, sodass etwa die Antipathie, die man den drei Brüdern anfangs entgegenbringt, zunehmend Empathie und Verständnis für ihre Taten weicht. Alle hier sind Getriebene der Umstände, leiden unter Geldnot, sozialer Ausgrenzung, gewalttätigen oder kontrollsüchtigen Vätern, der emotionalen Vernachlässigung durch den Ehemann. Weil davon nicht nur erzählt wird, sondern diese Erfahrungen, diese Hintergründe erleb- und spielbar sind, sind sie so nachvollziehbar.

 

Barrierefreies Erlebnis

Wobei das Wort „spielbar“ falsche Erwartungen wecken könnte: Wie bei allen Visual Novels ist die Spielmechanik von As Dusk Falls drastisch reduziert, beschränkt sich auf die Auswahl von Antworten und kurze Reaktionstests. Die können zusätzlich noch einfacher gemacht werden, womit das englische Entwicklerteam Interior/Night sein Ziel, ein möglichst barrierefreies narratives Erlebnis zu bieten, erreicht hat. Im Übrigen lässt sich das Spiel auch per Smartphone-App steuern, und es gibt einen Mehrspielermodus für bis zu acht Personen, bei dem Entscheidungen per Mehrheitswahl gefällt werden.

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Auch um ein anderes „Problem“ dieses Genres kommt das Spiel nicht herum: dass tiefgreifende, unterschiedliche Konsequenzen oft nur vorgegaukelt werden. Bis auf wenige Ausnahme unterscheidet sich der weitere Handlungsverlauf nach Entscheidungen nur minimal im Wie und selten im Was. Der grob vorgegebene Verlauf muss schließlich gewahrt werden. Das aber unterstützt einerseits ebenfalls die Tatsache, dass man sich hier selten in einer Machtposition befindet, andererseits reicht bereits die Illusion von Kontrolle und Einfluss aus, um das erzählerische Erlebnis zu verstärken.

Zwei große Pluspunkte helfen As Dusk Falls dabei, dieses Ziel zu erreichen: die sehr gut Vertonung — auf Englisch wie auf Deutsch — und der anfangs gewöhnungsbedürftige visuelle Stil, bei dem 3D-Hintergründe auf Standbildaufnahmen der Figuren treffen. Diese Stop-Motion-artige Inszenierung verhindert zum einen den Uncanny-Valley-Effekt, zum anderen sorgt das konstant für Bildkompositionen von filmischer Qualität. Trotz der üblichen Schwächen entsteht damit eine Erfahrung, der man eine Chance geben sollte — ob nun videospielaffin oder nicht.

Erhältlich ist „As Dusk Falls“ seit dem 19. Juli für PC und Xbox-Konsolen zum Preis von ca. 30 Euro.

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