Ambulance (2022)

Bay bleibt Bay

Eine Filmkritik von Christopher Diekhaus

Keine Frage, die Filme von Michael Bay tragen eine eigene Handschrift. Wenige Szenen reichen aus, um die treibende Kraft hinter den Bildern zu identifizieren. Wilde Schnittgewitter und eine entfesselte Kamera gehören zu den Markenzeichen des Regisseurs und Produzenten, der an den Kinokassen allein mit der "Transformers"-Reihe zahlreiche Hits landen konnte. Bei der Kritik hat Bay hingegen einen schweren Stand, da seine Actionstreifen ganz im Zeichen des anspruchslosen Spektakels stehen. Drehbücher sind notdürftig zusammengezimmerte Vorwände, um möglichst viele Explosionen, Crashs und Kämpfe in den Kasten zu bekommen. Wem das genügt, dürfte auch an "Ambulance", dem neuen Streich des Zerstörungsspezialisten, Freude haben. Wer sich jedoch nach ein bisschen Substanz sehnt, wird mit dem Remake des gleichnamigen dänischen Reißers von 2005 wohl nicht sehr glücklich werden.

Dass Bay gerne den Holzhammer auspackt, wenn er das Publikum in seine fiktionale Welt einführt, unterstreicht bereits der in warme Farben getauchte, von grellem Sonnenlicht durchflutete und mit ausdauernder Musik unterlegte Einstieg. Will Sharp (Yahya Abdul-Mateen II) ist ein Kriegsheimkehrer, der am Telefon verzweifelt versucht, die Versicherung zu überzeugen, dass seine kranke Frau Amy (Moses Ingram) dringend eine experimentelle Operation benötigt. Am anderen Ende herrscht jedoch kühle, bürokratische Routine. Keine Chance! Diese Familie, zu der auch ein Baby gehört, steht gewaltig unter Druck, wollen uns die ersten Szenen sagen. 

Amys Hinweis, Will komme ohne die Hilfe seines Adoptivbruders Danny (Jake Gyllenhaal) aus, gibt die weitere Marschroute vor. Natürlich wendet sich der Veteran umgehend an seinen Verwandten, von dem er sich die Finanzspritze für die OP erhofft. Danny ist gerade ebenfalls knapp bei Kasse, winkt aber mit einem Angebot, das Will in seiner Lage – so verlangt es die Drehbuchlogik – nicht ablehnen kann. Genau jetzt steht ein Bankraub mit einer 32-Millionen-Dollar-Beute bevor, für den Danny noch dringend einen weiteren Helfer braucht. Gute Planungen sind offenbar nicht seine Stärke. Und überhaupt wirkt die böse dreinschauende Truppe, die sich sogleich auf den Weg macht, alles andere als kompetent. Wer, bitte schön, nimmt einen Kerl (Brendan Miller) mit, der in Birkenstock-Sandalen zur kriminellen Unternehmung aufkreuzt? 

Nach anfänglichem Widerwillen lässt sich Will dennoch breitschlagen und erlebt in der Bank, wenig überraschend, sein blaues Wunder. Wie echte Profis stellen sich die zum Teil komplett unmaskiert vor die Angestellten tretenden Gangster auch hier nicht an. Vor allem im Austausch mit dem liebestrunkenen Polizisten Zach (Jackson White) verhält sich Danny äußerst einfältig. Und so kommt es, wie es kommen muss: Eine wilde Schießerei mit anrückenden Spezialkräften endet für den Großteil der Räuber tödlich. Einzig Will und seinem Adoptivbruder gelingt die Flucht, bei der sie einen Krankenwagen samt Sanitäterin Cam Thompson (Eiza González) und angeschossenem Zach in ihre Gewalt bringen.

Mit der nun einsetzenden Verfolgungsjagd durch Los Angeles tritt Bay das schon vorher betätigte Gaspedal noch weiter durch. Wie eigentlich immer in den Werken des Actionexperten wirbelt die Kamera umher, fliegt auf Schauplätze zu, umkreist die Figuren, rückt ihnen dicht auf die Pelle. Dazu springt der Film in Windeseile von einer Einstellung zur nächsten und lädt selbst unspektakuläre Handlungen, etwa wenn jemand einen Teller aus der Mikrowelle holt, mit einer irrwitzigen Energie auf. Das Chaos und die Hektik, die durch den komplett missglückten Bankraub ausbrechen, sind für die Zuschauer*innen konkret spürbar. Die Grenze zum Overkill reißt Ambulance allerdings regelmäßig ein. Auf Dauer können das Gewackel und die Schnittfrequenz nämlich ganz schön anstrengend sein. An den adrenalingetränkten Rhythmus der Bilder passt sich besonders Jake Gyllenhaal mit einer dauererhitzten Over-the-top-Performance an. Sein wild grimassierender, lauthals herumbrüllender Danny ist kein Stratege, dem in der Not ein cleverer Plan einfällt, sondern ein am Rande des Wahnsinns torkelnder Berserker.

Blickt man im Gegenwartskino auf die Flut an digitalen Zerstörungsorgien, fühlt es sich durchaus erfrischend an, dass Bay hier sehr oft auf echtes, nicht aus dem Computer stammendes Actionhandwerk setzt. Autos krachen tatsächlich ineinander. Und Explosionen bestehen nicht immer aus Pixeln. Der Charme der analogen Knalleffekte und das irrwitzige Tempo können jedoch die inhaltliche Macken nur bedingt kaschieren. Irgendwie möchte Ambulance von zwei unterschiedlichen Brüdern erzählen, ihre Beziehung ausloten, bleibt dabei aber bloß an der Oberfläche und erzeugt deshalb keine richtige Wucht. Amys Krankheit ist ein billiges Plot-Element, dem lediglich eine Funktion zukommt: Wills Teilnahme am Überfall halbwegs zu begründen. Logiklöcher tun sich an vielen Straßenecken auf. Amüsant ist beispielsweise, wie sehr die Brüder darauf bedacht sind, dass der schwerverletzte Zach überlebt, während sie reihenweise Polizeiautos und unbeteiligte Fahrzeuge aus dem Weg rammen. Die Schneise der Verwüstung dürfte zahlreiche Todesopfer fordern. Aus eben diesem Grund ist es schwer, Will und Danny als Identifikationsfiguren anzunehmen. Obwohl sie große Schuld auf sich laden, versucht der Film, in erster Linie im Fall des Kriegsheimkehrers, die guten Seiten zu betonen. Plump wirkt in diesem Zusammenhang übrigens das Ende, das sich an einer banalen Rehabilitierung versucht. Auch die wenigstens mit ein paar Strichen konturierte Cam darf hier eine vorhersehbare Wandlung durchlaufen. 

Für Abwechslung in all dem hochtourigen Trubel sollen, analog zum gleichnamigen dänischen Original, komische Akzente sorgen. Manche Scherze und absurde Einschübe kommen aber viel zu aufgesetzt daher. Überflüssig sind besonders die in der ersten Hälfte willkürlich abgefeuerten Popkulturzitate, wobei Michael Bay keine Skrupel hat, auf sein eigenes Schaffen zu verweisen. Die humorigen Zwischenspiele sind außerdem ein Grund dafür, dass Ambulance mit einer Laufzeit von 136 Minuten arg aufgebläht gerät. Das Treiben hätte man um mindestens eine halbe Stunde eindampfen können, ohne dass die Geschichte darunter gelitten hätte. Auch hier verfährt der Regisseur jedoch lieber nach dem Motto „Volles Rohr“, anstatt sich etwas zu zügeln.

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/ambulance-2022