Willkommen in Siegheilkirchen - Der Deix Film (2021)

Ja sauber, Rotzbua!

Eine Filmkritik von Harald Mühlbeyer

2016 ist Manfred Deix gestorben. Er hat aber zuvor an diesem Film mitgearbeitet, hat das Drehbuch abgenommen – und wird im Abspann als „Art Director“ geführt. "Willkommen in Siegheilkirchen" ist tatsächlich „der Deix-Film“, den der Untertitel verspricht: Das Figurenarsenal entstammt zum größten Teil seinem Universum. All die tumben Bauerntölpel, die hageren Altnazis, die strammen Weiber, die feisten Honoratioren, sie treiben hier ihr Unwesen in diesem Kaff irgendwo in der hintersten österreichischen Provinz.

Rotzbub heißt die Hauptfigur, ein Knabe grade so in den Anfängen der Pubertät – „Rotzbub“ war auch der Titel des Film, als er beim Filmfest München Premiere feierte. Er wächst in diesem Dorf auf, in den 1960ern, als die Verdrängungsmechanismen bezüglich der braunen Vergangenheit auf Hochtouren laufen, als das dörfliche Patriarchat mit aller Macht wütet, als die Kirche noch das Sagen hat und als die Männerwelt beim Stammtisch ihre dumpf-gleichgeschalteten Meinungen Schrägstich Vorurteile verkündet (als also alles ähnlich ist wie heute, ’n bisschen heftiger vielleicht). Der Rotzbub ist der Sohn vom Dorfwirt und bekommt alles mit, die Befindlichkeiten und die Männerwitze und den reaktionären Gemeinsinn, dem nicht zu entkommen ist. Und den ein junger Mensch wie der Rotzbub auf jeden Fall hinter sich lassen muss.

Das Milieu und die Story sind lose inspiriert von Deix’ eigenem Herkommen – aber natürlich ist dies kein autobiografischer Film im eigentlichen Sinn. Vielmehr setzt Regisseur Marcus H. Rosenmüller – seit dem Debüt Wer früher stirbt, ist länger tot Experte fürs Provinzleben – zusammen mit Co-Regisseur Santiago Lopèz Jover – Animationsexperte – alles daran, die Welt aufleben zu lassen, die Deix sich zusammenfantasiert hat, die er in seinen Cartoons so trefflich porträtiert. Deix bebildert die Wirklichkeit und verzerrt sie zugleich karikaturesk, trifft dabei die wunden Punkte einer konservativen Spießerwelt – graphisch sind seine Bilder prall und rund, weshalb die Umsetzung als Computeranimation vollauf Sinn ergibt.

Rotzbub ist einerseits, seiner Jugend geschuldet, dauergeil, andererseits zeichnerisch begabt. Weshalb er nicht nur die Metzgerstochter mit ihrem vielen Holz vor der Hütte gerne malt, sondern vom Onkel, einem akademisch ausgebildeten Kunstmaler, als Assistent bei der Verschönerung der Rathausfassade eingesetzt wird. Porträts der Metzgerstochter, das meint: Wichsvorlagen zu zeichnen für die Dorfjugend. Verschönerung der Rathausfassade meint: Alles, was hakenkreuzmäßig aussieht, verharmlosend übermalen. Doch beim Rotzbub kommen noch zwei Impulse dazu: Ein Musiker aus der Stadt macht ein Bistro im Dorf auf (total neumodisch und von den „echten“ Dörflern füglich gemieden); er bringt dem Rotzbub die Musik der 60er nahe und auch den Geist von Gegenkultur und Rebellion. Und außerdem lernt Rotzbub die schöne Mariolina kennen – die ist Roma, ihre Familie campiert außerhalb, und natürlich ist dieses „Zigeunergesindel“ den gutbürgerlichen Alt- und Neunazis im Dorf ein Dorn im Auge. 

Willkommen in Siegheilkirchen ist, der Titel zeigt es schon an, in seiner Aussage wenig subtil; wie ja auch Deix in seinen Cartoons eine deutliche Sprache spricht. Es geht um ein Coming of Age unter den erschwerten Bedingungen österreichischer Borniertheit und geistiger Enge, es geht um den Kampf gegen das Spießertum, gegen die braunen Traditionen. Rosenmüller und Drehbuchautor Martin Ambrosch bekommen den Spirit von Deix wirklich gut hin, López Jover als visueller Direktor bringt die Bildwelten sehr gelungen auf die Leinwand – aber ein bisschen konventionell geht es denn doch zu, im Sinne einer letztlich vorhersagbaren Handlung um die geistige und kulturelle (und amouröse) Entwicklung des Rotzbubs. Die Subversivität des deixschen Œuvres geht denn doch in der Filmwerdung seines visuellen Schatzes verloren.

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/willkommen-in-siegheilkirchen-der-deix-film-2021