Tschick (2016)

Eine Filmkritik von Sonja Hartl

Ein ziemlich guter Sommer

Eigentlich war es nur eine Frage der Zeit, bis Wolfgang Herrndorfs Roman Tschick verfilmt wird. Über 2,2 Millionen Mal verkauft, von vielen geliebt und noch dazu durchaus der scheinbar unerschöpflichen Adaptionsstoffquelle der Jugendliteratur zuzurechnen. Ebenfalls war es nur eine Frage der Zeit, bis Fatih Akin eine Literaturverfilmung dreht. Immerhin haben seine Filme seit jeher eine enge Beziehung zur Literatur: Bei Im Juli entstand nach dem Film ein Roman, der die Geschichte aus Sicht der weiblichen Figur Juli erzählt, bei Soul Kitchen kam mit Filmstart ein Buch heraus, das die Vorgeschichte der Hauptfigur erzählt, und in Auf der anderen Seite verbindet der Roman Die Tochter des Schmieds die Geschichten. Dennoch war Fatih Akin zunächst nicht als Regisseur dieser Verfilmung vorgesehen, vielmehr sprang er für David Wnendt (Kriegerin, Er ist wieder da, Feuchtgebiete) ein, der ja schon bewiesen hat, wie gut er Bestseller auf die Leinwand bringen kann. Terminprobleme verhinderten seine Beteiligung an diesem Film, Akin übernahm, stieß auf ein bestehendes Team, brachte noch Hark Bohm als Koautor und künstlerischen Berater mit und hat nun mit Tschick einen Film gedreht, der nichts falsch macht.

Erzählt wird die Geschichte des 14-jährigen Maik (Tristan Göbel, Westen), der in den Sommerferien mit seinem Schulkameraden Andrej „Tschick“ Tschichatschow (Anand Batbileg) auf eine abenteuerliche Reise gen Walachei aufbricht, aber nicht über die Osten Deutschlands hinauskommt. Unterwegs in einem „geliehenen“ Lada stoßen sie auf einen wütenden Bauern, eine Gruppe von „Adel auf dem Radel“, einer hilfsbereit-seltsamen Familie und Isa (Mercedes Müller), die auf einem Schrottplatz lebt, aber nach Prag möchte. Natürlich aber ist die Geschichte eines männlichen Jugendlichen, der auf eine Reise geht, vor allem die Erzählung seines Coming of Age, seines Erwachsenwerdens. Dazu gehören erste Erfahrungen mit Liebe und Enttäuschungen, aber auch mutige Entscheidungen und Irrtümer. In knalligen Farben gedreht, findet Akin mit seinem Stamm-Kameramann Rainer Klausmann hierfür sehr gute Bilder. Dazu gehören schon die Aufnahmen des Unfalls, der die Reise letztlich beenden wird und hier bereits am Anfang angedeutet wird. Es sind leicht verlangsamte, gestochen scharfe Nachtaufnahmen, die die Stimmung am Ende dieser Reise intendieren, aber noch nicht vollends entfalten lassen. Denn zunächst wird erzählt, wie es zu diesem Unfall kommen konnte. Immer wieder sind Einstellungen zu sehen, die wesentliche Stationen dieser Reise – die Windradmasten, den Schrottplatz, die sommerlichen Felder – durch ihre Bildlinien und Farben leicht überhöhen und damit den Abenteuercharakter dieser Fahrt herausstellen, die noch dazu von einem Teenager in der Rückschau erzählt wird. Dabei gehen die Bilder mit der sehr gut ausgewählten Musik(u.a. von den Beatsteaks) eine überzeugende Verbindung ein: Wenn Maik alleine im Zimmer ist, steckt man dank der überlauten Alternative-Rock-Klängen mit ihm unter den Kopfhörern – das ist ebenso simpel wie effektiv. Als größte Coup entpuppt sich dann aber ausgerechnet Richard Claydermans Ballade pour Adeline, das die Jungs auf ihrer Reise immer wieder hören – und das schließlich mit dem Freiheitsgefühl, mit der Alles-ist-möglich-Einstellung assoziiert wird.

Zu gelungenen Bildern und Musik kommen teilweise sehr gute Dialogzeilen, die insbesodere von Debütant Anand Batbileg überzeugend vermittelt werden. Von „ey, coole Jacke“ bis hin zu „Ich fahr doch jetzt nicht zurück“ bringt er Tschicks Charisma, seine verletztliche Unabhängigkeit sehr gut auf die Leinwand. Leider nehmen sich andere Dialoge bisweilen hölzern aus, es kommen Sätze, die nahezu aufgesagt klingen und die Selbstverständlichkeit dieser Jugendfreundschaft unterlaufen. Hier erfolgen kleinere Brüche in der Rezeption, die aber insgesamt von vielen gelungenen Momenten aufgefangen werden.

Es gelingt Akin insbesondere im Zusammenspiel von Bild und Ton, den Charme und die Atmosphäre der Vorlage auf die Leinwand zu transponieren, ohne sklavisch Szene für Szene des Buches abbilden zu wollen. Dadurch ist Tschick ein in seiner Unterhaltsam- und Gefälligkeit fast schon altmodisch anmutendes Roadmovie über den Sommer zweier Teenager, der ihr Leben verändern wird. Es ist ein Film, der erfolgreich sein wird und nahezu kein Risiko eingeht. Deshalb kommt man nicht umhin, sich nach dem Abspann und Verlassen des Kinos die Frage zu stellen, welcher Film wohl entstanden wäre, wenn Fatih Akin von Anfang beteiligt gewesen wäre.
 

Tschick (2016)

Eigentlich war es nur eine Frage der Zeit, bis Wolfgang Herrndorfs Roman „Tschick“ verfilmt wird. Über 2,2 Millionen Mal verkauft, von vielen geliebt und noch dazu durchaus der scheinbar unerschöpflichen Adaptionsstoffquelle der Jugendliteratur zuzurechnen. Ebenfalls war es nur eine Frage der Zeit, bis Fatih Akin eine Literaturverfilmung dreht. Immerhin haben seine Filme seit jeher eine enge Beziehung zur Literatur.

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Meinungen

Sascha · 10.11.2016

bin eigentlich erstaunt, über "nur" 2 Sterne Bewertung.
Persönlich fand ich den Roman von Fatih Akin filmisch gut umgesetzt und gut getroffen.
Daher meinerseits Daumen hoch und volle Empfehlung.

T. Nerre · 17.09.2016

Habe die Vorführung im Theater in Eisleben gesehen
War dort mit meiner Tochter und iher Schulklasse
Hat uns allen gefallen und viel Spaß gemacht
Wir werden uns sobald wie möglich den Film im Kino anschauen