Log Line

Mit Wunder der Wirklichkeit erinnert Dokumentarfilmer Thomas Frickel an den Künstler und Filmemacher Martin Kirchberger (1960-1991) wie an den Flugzeugabsturz, bei dem sein Team und er tragisch zu Tode kamen, als sie gerade den Kurzfilm Bunkerlow drehten.

Wunder der Wirklichkeit (2017)

Eine Filmkritik von Stefan Otto

Die letzte Aufnahme

Eingangs ist die Douglas DC-3 auf dem Flug von Frankfurt-Egelsbach ins rheinland-pfälzische Baumholder. „Das müsste eigentlich ganz gut laufen, wenn das Wetter mitspielt“, meint der Co-Pilot noch, bevor er plötzlich die Hand hebt und das Filmbild abrupt nachtschwarz wird.

Ein Vierteljahrhundert ist vergangen, seit die genannte Passagiermaschine am 22. Dezember 1991 am Berg Hoher Nistler am Westhang des Odenwalds, in der Nähe von Heidelberg, niederging. In dem damals bereits knapp 50 Jahre alten Flugzeug der auf historische Luftfahrzeuge spezialisierten Fluggesellschaft Classic Wings saß ein Filmteam um Regisseur Martin Kirchberger: 29 Personen, darunter etliche Komparsen, die an dem satirischen Kurzfilm Bunkerlow arbeiteten.

Von den 32 Personen, die einschließlich der Besatzung an Bord waren, kamen bei dem Absturz 28 ums Leben. Nach einem Untersuchungsbericht des Luftfahrtbundesamtes waren mehrere Ursachen für den tragischen Flugunfall verantwortlich. Der erste Pilot hatte seinen Platz im Cockpit für einen Kameramann geräumt und der Co-Pilot gab ein Interview. Um Lichtreflexe zu vermeiden, waren die Sichtscheiben mit abdunkelnder Folie überklebt worden und der Co-Pilot verwechselte die Flüsse Rhein und Neckar. Die Gipfel des Odenwalds lagen hinter dunklen Wolken und das Flugzeug flog so niedrig, dass es in den knapp 500 Meter hohen Berg steuerte.

Thomas Frickel (Die Mondverschwörung), der mit Martin Kirchberger befreundet war, blickt ausgehend von diesem Unglück und ganz konkret von dem Gedenkstein, der erst 2014 auf dem Hohen Nistler errichtet wurde, auf das Leben und Werk des Rüsselsheimer Künstlers, Filmers und Musikers zurück. Es sei eine sehr schwierige und heikle Geschichte. „25 Jahre ist das her und ich spüre, dass mein Film diesen Abstand braucht“, so Frickel. Es gebe bis heute Personen, die gar nicht gerne darüber redeten. „Die Wunden der Wirklichkeit heilen langsam.“

Kirchberger, 1960 geboren, hatte etwas Dada und Fluxus in das beschauliche Rüsselsheim gebracht. In den 1980er Jahren war die hessische Opel- und Arbeiterstadt, Frickel zufolge, noch „tiefe Provinz inmitten einer Gesellschaft, die damals eigentlich schon weiter war“. Der junge Kirchberger trat als Musiker mit der lokalen Rockband Kapitän Rüssel in Erscheinung, reüssierte als Trompe-l’œil-Wandmaler (oder „Wende-Maler“, wie er selbst sagte), und betrieb verschiedene recht spektakuläre Kunstaktionen. „Für die damaligen Rüsselsheimer Verhältnisse war das wirklich schwierige Kost“, urteilt ein Zeitzeuge in Frickels Doku. „Seine künstlerischen Aktivitäten setzten unübersehbare Fragezeichen gegen den normalen Gang der Dinge“, meint Frickel selbst.

Kirchbergers Filmarbeit begann 1984 mit dem Studium an der Offenbacher Hochschule für Gestaltung. Schgaguler, Buchholz bleibt oder Frankfurt fühlen hießen erste Werke, drei bis elf Minuten kurze, humorvoll pointierte Mockumentaries, die sich dokumentarischer Stilmittel bedienen, um fantastische, meist einigermaßen abwegige Geschichten zu erzählen: Ein alter Südtiroler Bauer steckt Salatgurken in den Schnee, um einer alten Volkstradition Genüge zu tun; ein Rentner aus Trebur kettet kräftige Bäume fest, damit sie beim Nachlassen der Erdanziehungskraft nicht etwa davonfliegen, oder ein Masseur behauptet, dass er beim Ertasten der Muskelverspannungen schon weiß, ob sein Patient aus Frankfurt kommt.

Bunkerlow sollte, wieder pseudo-dokumentarisch, einen Werbeflug für Sicherheitsfanatiker persiflieren: Eine Spezialfirma für Bunkerbau lädt liquide Interessenten zu einer Verkaufsveranstaltung in ein Flugzeug. „Höhepunkt der Reise sollte dann ein Bombenabwurf auf einen solchen Bunker sein“, schildert der junge Thomas Frickel in Wunder der Wirklichkeit am Tag nach der Katastrophe. „Das alles vor dem Hintergrund der präsenten Bilder des Golfkriegs und auch vor dem Hintergrund dessen, dass die Bundesregierung den Bunkerbau subventioniert. Ein Spiel mit dem Entsetzen und sicher auch etwas, das Leute zum Lachen bringen wollte, aber zu einem Lachen, das im Hals stecken bleibt.“

Nach dem Tod der meisten Teammitglieder stellten die Schnittmeisterinnen Renate Merck und Karin Malwitz Bunkerlow 1992 fertig, Frickel fungierte auf Bitte der Hinterbliebenen als ausführender Produzent. Mit Wunder der Wirklichkeit setzt er dem Leben und Kunst-Werk Martin Kirchbergers und der jungen Rüsselsheimer Szene seiner Zeit ein anschauliches, gleichermaßen emotional nahegehendes wie kunsthistorisches Denkmal. Das stille steinerne Mahnmal, das die Absturzstelle des Flugzeugs und seiner Insassen im Wald markiert, steht nicht mehr einsam und allein. Neben Wunder der Wirklichkeit bleiben auch Kirchbergers Filme, die zusammen mit Frickels Doku auf Tour gehen sollen.
 

Wunder der Wirklichkeit (2017)

Eingangs ist die Douglas DC-3 auf dem Flug von Frankfurt-Egelsbach ins rheinland-pfälzische Baumholder. „Das müsste eigentlich ganz gut laufen, wenn das Wetter mitspielt“, meint der Co-Pilot noch, bevor er plötzlich die Hand hebt und das Filmbild abrupt nachtschwarz wird.

  • Trailer
  • Bilder

Meinungen