Toro (2015)

Eine Filmkritik von Bianka Piringer

Die Illusionen eines Sexarbeiters

Ein junger Mann mit Kapuzenjacke läuft nachts durch eine schmutzige Unterführung. Man könnte ihn für einen Jogger halten, doch lässt sich seine Kleidung nicht eindeutig einem Freizeitsportler zuordnen, der tagsüber im Büro sitzt. Vielleicht steht dieser Mann am Rande der Gesellschaft, hat aber trotzdem den Ehrgeiz, sich fit zu halten. In der nächsten Einstellung steht Toro (Paul Wollin) vor dem Spiegel und probt ein Lächeln. Und dann sieht man ihn nackt in einem Wohnzimmer mit altdeutschem Mobiliar stehen.
Toro, der eigentlich Piotr heißt und aus Polen stammt, bietet Frauen käuflichen Sex an. Das Geld versteckt er in einem Boxsack in seiner schäbigen kleinen Wohnung. Er spart für seine Rückkehr nach Polen, wo er eine Boxschule gründen will. Toros Körper ist sein ganzer Stolz und auch sein Kapital. Allein schon wie der Mann seine Muskeln trainiert, zeigt, dass er an die eigene Zukunft glaubt. Und in die möchte er gerne seinen besten Freund Victor (Miguel Dagger) mitnehmen. Der Latino ist sein Nachbar in dem heruntergekommenen Mietshaus. Um seine Drogensucht zu finanzieren, folgt er in Bars älteren Herren auf die Toilette. Toro, der seinen Spitznamen – auf Spanisch Stier – Victor verdankt, glaubt, dieser nehme keine Drogen mehr. Aber dann bekommt Victor Besuch von Schlägern, die Schulden eintreiben wollen. Und Toros Zukunft sieht plötzlich anders aus.

Die beiden Freunde in Martin Hawies Abschlussfilm an der Kölner Kunsthochschule sind Migranten und bewegen sich am Rande einer Gesellschaft, die sich ihnen verschließt. Der Regisseur, der aus Peru stammt, lässt Köln in diesem Schwarz-Weiß-Film anonym und austauschbar erscheinen. Toro und Victor gehen durch enge, dunkle Gassen, treffen sich am Rhein mit Blick auf den Containerhafen. Die Einheimischen machen sich rar oder wollen, wie Toros Kundinnen, geschäftsmäßigen Kontakt. Auch wenn sie aus unterschiedlichen Kulturen stammen, ersetzen sich Toro und Victor ein wenig die fehlende Familie. Aber verbindet die beiden nicht noch mehr?

Die Dynamik dieser Männerfreundschaft wird von außen, durch andere Menschen, angestoßen. Victor erhält überraschend Besuch von seiner Schwester Emilia (Leni Speidel), die ebenfalls in Deutschland arbeiten will. Und Toro macht die Bekanntschaft des jüngeren Benoit (Kelvin Kilonzo), der sich fürs Boxen interessiert. Benoit reagiert auffallend eifersüchtig auf Victor. Sehr zögerlich mehren sich die Hinweise, dass Toro ein Problem mit seiner Sexualität hat. Es gibt Leute, die ihn für schwul halten, aber das macht Toro wütend. Schließlich geht der polnische Katholik gerne in die Kirche. Anscheinend weiß er selbst nicht, wie die von ihm angestrebte Zukunft mit Victor sein soll.

Die Geschichte wird mit stilistischem Ideenreichtum erzählt. Um sinnlich spürbar zu machen, wie sich das Erleben der Protagonisten spontan verschieben kann, setzt Hawie nicht nur Zeitlupen ein. Sondern er spielt auch mit dem Ton, dreht ihn ab oder dimmt ihn so, dass man während heftiger Auseinandersetzungen die Worte nicht entschlüsseln kann. Darüber legen sich Geräusche, die den geraunten Sinn praktisch ersticken. Der Einsatz von Musik bleibt angenehm dezent.

Das Drehbuch, das Hawie und Laura Harwarth verfassten, streut die inneren und äußeren Konflikte der beiden Hauptfiguren zu breit. Und dann kracht es am Schluss ganz gewaltig, während vorher vieles doch nur angedeutet und vage blieb. Zum Beispiel haben Toro und Victor nur wenige und dann auch ziemlich beiläufige Zweierszenen, obwohl ihre Beziehung so zentral sein soll. Während der drogenabhängige Victor durchgehend blass und schemenhaft wirkt, kann sich Toros Charakter viel besser entfalten. Aber auch seine inneren Konflikte bleiben zu sehr im Unklaren, um konsequent dramatische Spannung aufzubauen und das Finale schlüssig erscheinen zu lassen.

Toro (2015)

Ein junger Mann mit Kapuzenjacke läuft nachts durch eine schmutzige Unterführung. Man könnte ihn für einen Jogger halten, doch lässt sich seine Kleidung nicht eindeutig einem Freizeitsportler zuordnen, der tagsüber im Büro sitzt. Vielleicht steht dieser Mann am Rande der Gesellschaft, hat aber trotzdem den Ehrgeiz, sich fit zu halten.
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