Top Girl oder La déformation professionnelle

Eine Filmkritik von Sonja Hartl

It’s a man’s world

Helena (Julia Hummer) ist eigentlich Schauspielerin. Eine aus der dritten oder vierten Reihe, die mal eine Rolle in einer Serie hatte. Ihr Geld verdient sie aber längst mit Prostitution. Sie ist eine der Sex-Arbeiterinnen, von denen in der Diskussion über die Legalisierung der Prostitution oft gesprochen wird: Sie wurde nicht aus Osteuropa verschleppt und muss nun auf dem Straßenstrich anschaffen, sondern arbeitet ohne Zuhälter quasi als Ich-AG, manche Aufträge vermittelt ihr eine Agentur, die von einer Frau mit einem Hang zu Inszenierungen der Selbstbestimmtheit geführt wird. Jedoch wird in Tatjana Turanskyjs Film Top Girl oder la déformation professionelle sehr schnell deutlich, dass Helena deshalb noch lange nicht selbstbestimmt ist. Ihre Kunden sagen ihr, was sie wollen. Das reicht von „einmal normal GV und danach noch liegen“ bis hin zur analen Penetration mit einem aufgeschnallten Penis. Ohnehin ist Helena oft als Domina zu sehen, allerdings folgt sie den Anweisungen ihrer Kunden – und sogar ihre Wohnung wird ihr von ihrem selbsterklärten „Liebhaber“ gegen sexuelle Dienstleistungen zur Verfügung gestellt, bei denen er vor ihr auf den Vieren durch die Küche kriecht, aber zu den Zeiten, die er ihr vorschreibt.
In dem zweiten Teil ihrer Trilogie über Frauen und Arbeit forscht Tatjana Turanskyj der weiblichen Selbstbestimmung und der Arbeit in einer Dienstleistungsgesellschaft nach. Helenas Kunden sind durchschnittliche Männer, sie arbeiten bei einer Versicherung, in der Werbung oder EDV-Abteilung. Bei Helena werden sie jedoch zu „braven Mädchen“, die in Helenas Schoß weinen. Diese Geborgenheit haben sie sich ebenso wie die Momente des vermeintlichen Ausgeliefertseins an eine Domina gekauft. Deshalb ist Helenas Macht in diesen Situationen nur scheinbar, sie liegt vielmehr in der visuellen Inszenierung, die die Männer weitaus schonungsloser vorführt als die Frauen.

Top Girl verfolgt eine klare Aussage, in der Umsetzung gerät der Film dann mitunter zu schematisch. So wird Helenas Leben in Kontrast zu ihrer Mutter Lotte (Susanne Bredehöft) gesetzt, die ihr als Babysitterin aushilft, früher Jazzsängerin war und heute als Gesangslehrerin arbeitet. Wenngleich sie der alten Zeit hinterher trauert, ist die Alt-68erin eine fröhliche Frau, die ein Auge auf ihren Gesangsschüler wirft. Diese Frauengeneration scheint die Selbstbestimmung erreicht zu haben, die sie anstrebte. Dagegen wird Helena im Verlauf des Films immer unzufriedener und müder. Im Gegensatz zu Helena und Lotte sind andere Figuren oftmals allzu deutlich auf ihre Funktion in dem Diskurs reduziert, sie stehen für ein Argument und werden zur Karikatur – wie bspw. die Schönheitschirurgin, die eine Straffung der Schamlippen zum feministischen Akt stilisiert.

Die Stärken des filmischen Essays Top Girl liegen daher eindeutig in der Schilderung des Alltags von Helena, in dem Romantik noch nicht einmal vorgetäuscht wird, und der Verbindung zu einer allgemeinen Gesellschaftsanalyse. In der Dienstleistungsgesellschaft unterliegt alles – auch bzw. gerade die Sexualität – der Kommerzialisierung und dem Druck der Selbstoptimierung. So sorgt Helena in ihren wenigen freien Minuten noch mit Gymnastik für einen möglichst straffen Bauch. Alles ist zu kaufen – und so gibt es für Helena nur den Ausweg, die Seiten zu wechseln: Sie wird zur Vermittlerin von sexuellen Dienstleistungen, zur schwarz gekleideten Zuhälterin, die andere Mädchen als Opfer einer männlichen Treibjagd vermittelt. In dem eindrucksvollen Schlussbild ist sie somit die Unterdrückerin geworden – anders ist dieser Gesellschaft nicht mehr beizukommen.

Top Girl oder La déformation professionnelle

Helena (Julia Hummer) ist eigentlich Schauspielerin. Eine aus der dritten oder vierten Reihe, die mal eine Rolle in einer Serie hatte. Ihr Geld verdient sie aber längst mit Prostitution. Sie ist eine der Sex-Arbeiterinnen, von denen in der Diskussion über die Legalisierung der Prostitution oft gesprochen wird: Sie wurde nicht aus Osteuropa verschleppt und muss nun auf dem Straßenstrich anschaffen, sondern arbeitet ohne Zuhälter quasi als Ich-AG, manche Aufträge vermittelt ihr eine Agentur, die von einer Frau mit einem Hang zu Inszenierungen der Selbstbestimmtheit geführt wird.
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Meinungen

OldSchool · 14.01.2015

Er: "Du schreist!"
Sie "Natürlich schreie ich – weil du von dem, was ich gesagt habe, nicht ein Wort verstanden hast. Du hörst einfach nicht zu!" Intimfeinde unter sich wissen, worauf es ankommt. Es steht viel auf dem Spiel. Die Reaktionen, die hier ausgelöst werden, rühren an einige unserer tiefsten Bedürfnisse – an das Bedürfnis nach Liebe und Anerkennung, an Ängste vor dem Verlassenwerden und vor emotionaler Deprivation. Ein Jahrzehnt später wissen wir dass es uns immer noch aus der Fassung bringt diese Unschuldige Opfer Attitude der Männer. Fassungslos ob der Gewissheit von der ersten Minute über die Machtkonstellation. Ich bin als Frau angeekelt und bestürzt über die mangelnde Ganztagsbeschäftigung der wie im Film dargestellten Täter (Its a mans world). Welcher Fuzzi... sich einzubilden, sich selbst zu beruhigen, indem er die Frau bezahlt, dafür ihn, zu bestrafen. Dank an die Regisseurin, das ist Balsam für den Zorn: Alle Masochisten sind Sadisten. ..Alles andere, Männer als Helden zu verklären, ist in seiner ganzen Unerschütterlichkeit eine Art optimistische Verleugnung, eine positive Dissoziation und möglicherweise ein Hinweis auf neurale Mechanismen, die etwa bei einer Störung aufgrund eines posttraumatischen Stresses auftreten können. FuXXXX you!