Nola Darling (TV-Serie, 2017)

Eine Filmkritik von Sonja Hartl

Brooklyn, mon amour

In den ersten Einstellungen stimmt Spike Lees Netflix-Remake-Serie Nola Darling nahezu vollständig mit seinem Filmdebüt She’s Gotta Have It überein: Der Film zeigt in Schwarz-Weiß die Künstlerin Nola Darling (Tracey Camilla Johns) auf dem Bett und sie sagt: „I want you to know, the only reason I’m consenting to this is because I wish to clear my name.“ In der Serie sitzt die Künstlerin Nola Darling (DeWanda Wise) – gefilmt in starken, leuchtenden Farben – auf dem Bett und sagt: „I would like you to know, the only reason I’m doing this is ’cause folks think they know me. They think they know what I’m about, and the truth is, they don’t know me.“ Sie sagen fast das Gleiche – und doch sind die Unterschiede wichtig: Die Serie zielt weitaus stärker auf die Frage ab, wer Nola Darling eigentlich ist und viel weniger, ihr Leben zu verteidigen.

Nola Darling ist Ende 20, wohnt in Brooklyn und versteht sich als Künstlerin, sie wird präsentiert als unabhängige, selbstbestimmte, sex-positive, pansexuelle, polyamouröse Woman of Color. Das wird zunächst untermauert durch die drei Männer, mit denen Nola schläft und die später als Three Penis Monster beschrieben werden: der sich kümmernde Jamie Overstreet (Lyriq Bent), ein Investmentbanker, der im Keller des Hauses schläft, das er mit Frau und Sohn bewohnt und Nola mit Schecks sowie Geschenken bei der Miete und der Malerei hilft; der verführerische Greer Childs (Cleo Anthony), ein eitles Model und Fotograf; der lockere Mars Blackmon (Anthony Ramos), ein Fahrradkurier, kindisch, aber lustig. Jeder der drei Männer weiß, dass Nola auch noch andere Männer hat, aber sie wissen nicht, wen und wie viele. Und jeder ist überzeugt, dass er Nola jeweils am besten kennt. Dass Nola kein Interesse an Monogamie hat, wird indes von ihnen kaum wahrgenommen, vielmehr versucht jeder von ihnen, Nola von einer Beziehung zu überzeugen, obwohl keiner von ihnen treu oder monogam ist. Nola hat hingegen klare Regeln: Sie verlangt, dass die Männer anrufen, bevor sie auftauchen, sie hat Sex nur in ihrem eigenen loving bed und niemals mit zwei verschiedenen Männern am selben Tag. Von den Männern werden diese Regeln als Herausforderung angesehen, die sie meistern oder der sie sich verweigern müssen. Für Nola sind diese Regeln jedoch eine Möglichkeit, die Kontrolle zu behalten.

Hier wird es bereits problematisch: Es geht in diesen Beziehungen zu den Männern lediglich um Nola und ihre Regeln. Die Bedürfnisse und Wünsche der Männer spielen keinerlei Rolle, sie haben die Regeln zu akzeptieren oder können gehen. Das mag auf den ersten Blick stark, selbstbewusst und kontrolliert wirken, letztlich aber verhält sich Nola hier lediglich wie viele Männer. Hier herrscht trotz der oft betonten Vielzahl von Autorinnen im Writers Room ein männlicher Blick auf weibliche Stärke und Unabhängigkeit vor. Es fehlt Zustimmung – consent –, die in polyamourösen wie monogamen Beziehungen eine zentrale Rolle spielt. Das geht sogar so weit, dass Nola alle drei Männer zu einem Thanksgiving-Essen einlädt, ohne sie vorab wissen zu lassen, dass sie aufeinandertreffen. Damit nimmt sie ihnen sogar die Möglichkeit zu entscheiden, den anderen nicht begegnen zu wollen – und setzt sich abermals über sie hinweg.

Ähnlich verhält sich Nola in der Beziehung zu Opal (Ilfenesh Hadera), mit der sie sich bereits vor Jahren getroffen hat. Nola bewundert Opal, sie genießt deren Stärke und Aura, aber auch hier geht es nur um sie und ihre Bedürfnisse: Sie braucht die Stabilität und Ruhe, die Opal ausstrahlt. Dadurch werden sowohl die behauptete Polyamorie als auch Pansexualität zunehmend Ausdruck eines Nicht-Festlegen-Wollens und einer Kommunikationsschwäche. Letztlich findet die Serie hier einen Ausweg, indem sie Nolas Sexualität als großen Teil ihrer Identitätssuche inszeniert und verbindet Polyamorie mit Sinnsuche und Entscheidungsverweigerung. Hiermit ist sie sicherlich einen deutlichen Schritt weiter als der Film, in dem Nola nicht für ihre Sexualität verurteilt werden wollte, es letztlich aber durch die Vergewaltigung am Ende sogar vom Film wurde, aber sie reproduziert dennoch Klischees und Missverständnisse sowohl über Pansexualität als auch über Polyamorie.

Neben der Sexualität ist es die Kunst, die Nolas Identitätssuche bestimmt, dabei hängt beides zusammen und beeinflusst einander. Nolas Kunst ist ihre Form von Selbstbehauptung, Selbstfindung und Selbstverteidigung, aber auch hier gibt es Widersprüche, die sehr deutlich zeigen, wie wenig Nola weiß, wer sie ist. Als ihre enge Freundin eine Ausstellung in ihrer neuen Galerie organisiert, stellt Nola dort Porträts aus, die repräsentieren, welche Kunst sie gerne machen würde. Dabei übersieht Nola aber, dass ein anderes Projekt weitaus mehr Stärke und Aussagekraft hat: Nach einem sexuellen Übergriff auf einer nächtlichen Straße beginnt Nola Schwarz-Weiß-Fotos von dem oberen Teil von Frauengesichtern in der Stadt zu plakatieren, auf denen jeweils steht „I am not your“ – „bitch“ etc. Damit setzt sich Nola zu Wehr und fügt sich sehr gut in eine Zeit, in der Frauen Belästigungen und Übergriffe nicht einfach mehr hinnehmen und hiermit geht die Serie auch weitaus klüger mit sexueller Gewalt um als der Film. Aber Nola will nicht als Streetartist bekannt werden, sie will einfach nur ein Artist sein und verschweigt deshalb lange, dass sie für die Aktion verantwortlich ist. Sie scheut Konsequenzen und Eindeutigkeiten, daher beginnt sie zwar, die Männer in ihrem Leben zu hinterfragen. Sie will wissen, ob auch sie zu der toxischen Maskulinität beitragen, der sie – und viele andere Frauen – ihr gesamtes Leben lang ausgesetzt sind und kommt zu einem ernüchternden Ergebnis. Aber letztlich folgen aus dieser Erkenntnis keinerlei Entscheidungen.

Manches ist jedoch sehr gelungen bei Nola Darling. Keine Figur wird lediglich durch ihre Hautfarbe definiert, auch ist das Porträt von Brooklyn überzeugend, wo sich immer mehr weiße Hipster versammeln und gleichermaßen Ruhe und Sicherheit wie Kunst und Individualität suchen. Jede Folge beginnt mit einem Vorspann, in dem wechselnd alte und neue Bilder gegeneinander geschnitten sind – die letzte Folge der Serie sogar mit Fotos im Vorspann, die bereits im Film zu sehen waren. Hier wird das Flair von Brooklyn beschworen und ein wenig nostalgisch verklärt, während in der Serie immer wieder Themen wie Verdrängung und steigende Mieten verhandelt werden. Sicherlich auch nicht widerspruchsfrei – aber sie klingen an. Außerdem ist der Einsatz der Musik meisterhaft. Die Lieder kommentieren die Handlung und Figuren, setzen Tonalitäten und sind bisweilen Referenzen. Dabei akzentuiert Spike Lee den Einsatz der Songs mit dem kurzen Einblenden der Alben-Cover, von denen sie stammen. Ohnehin ist Nola Darling gespickt mit Zitaten und Verweisen auf Film, Musik und Literatur, die manchmal einfach nur clever sein wollen, manchmal aber auch berühren.

Insgesamt erzählt Nola Darling also von einer ziel- und rastlosen Frau, die die Energie hat, etwas zu beginnen, es letztlich aber nicht konsequent durchzieht. Das ist natürlich grundsätzlich in Ordnung – und gerade in der Darstellung afroamerikanischer Frauen eine Seltenheit. Aber leider verbindet Nola Darling diese Figurenanlage immer wieder mit klaren Statements, in denen suggeriert wird, Nola wisse genau, worum es geht. Hier entsteht zwischen der für Spike Lee üblichen Didaktik und der Entwicklung seiner Figur ein Widerspruch, der sich immer wieder in der Serie zeigt. Dadurch ist Nola Darling eine lebhafte, trotzige, nicht immer stimmige Arbeit, bei der einen wiederkehrend das Gefühl beschleicht, dass die Richtung nicht immer klar war, dass die Serie – wie Nola – beständig sich selbst verhandelt. Dazu gehört, dass die Nebenhandlung um die Hinternvergrößerung von Nolas bester Freundin Shemekka (Chyna Layne) sich nicht in die Serie einfügt und man sich unweigerlich fragt, welche Rolle sie über das Festhalten an Schönheitsidealen hinaus spielen soll. Sie bleibt an der Oberfläche – und ist im Ton allzu bemüht satirisch. Hier wäre – wie oft bei Netflix-Serien – weniger Geschichte und damit auch weniger Folgen mehr gewesen. Aber wenigstens verweigert sich die Serie am Ende dann auch einem allzu klaren Abschluss. Somit ist Nola Darling sicherlich ein wichtiger Beitrag gerade zu der Präsentation von Women of Color auf dem Bildschirm, ein stärkerer weiblicher Blick hätte der Serie aber gutgetan.
 

Nola Darling (TV-Serie, 2017)

In den ersten Einstellungen stimmt Spike Lees Netflix-Remake-Serie „Nola Darling“ nahezu vollständig mit seinem Filmdebüt „She’s Gotta Have It“ überein: Der Film zeigt in Schwarz-Weiß die Künstlerin Nola Darling (Tracey Camilla Johns) auf dem Bett und sie sagt: „I want you to know, the only reason I’m consenting to this is because I wish to clear my name.“

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