Freistatt (2015)

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Die Moorsoldaten

Wolfgang (Louis Hoffmann) ist wohl das, was man damals „renitent“ nannte – heute würde man ihn wohl als ganz normalen 14-jährigen begreifen, der mitten in der Pubertät steckt. Ein rebellischer Junge, der vor allem gegen den strengen Stiefvater (Uwe Bohm) opponiert, der solche Zweifel an seiner absoluten Autorität nicht mehr länger dulden mag. Da Wolfgangs Mutter Ingrid (Katharina Lorenz) sich nicht gegen ihren Mann durchzusetzen vermag, landet der Junge schließlich in der Erziehungsanstalt Freistatt. Und dort beginnt ein Leidensweg, der einst trotz aller Entsetzlichkeit gar nicht so selten war bei Institutionen wie diesen.

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Marc Brummunds emotional erschütternder Film Freistatt ist eine Tour de force, die den Zuschauer schnell an der Angel hat und diesen dann nicht mehr loslässt, während die Spirale aus Gewalt und Rebellion sich immer schneller dreht. Glaubt man anfangs nur allzu gerne, dass der Heimleiter Brockmann (Alexander Held) tatsächlich ein netter älterer Herr ist, der sich im hauseigenen Gemüsegarten liebevoll um die selbstgezogenen Tomaten kümmert, wird man schnell eines Besseren belehrt: In dem Heim herrscht ein Klima der Unterdrückung und permanenten Angst, dass die Jugendlichen bereits so sehr internalisiert haben, dass sie selbst den rebellischen Wolfgang zur Räson bringen wollen, um unter dessen Aufbegehren nicht leiden zu müssen. Der aber lässt sich allen Hindernissen zum Trotz nicht zähmen. Daran kann auch der Aufseher Bruder Wilde (Stephan Grossmann) nichts ändern, der Wolfgang schnell als Quelle der wachsenden Aufmüpfigkeit ausgemacht hat. Und selbst dessen Kollege Bruder Krapp (Max Riemelt) hat der Brutalität seines Kollegen nichts entgegenzusetzen, vielmehr wird sich bei einem erschütternden Weihnachtsfest zeigen, dass auch er erhebliche Schuld auf sich geladen hat.

Der politische Sprengstoff, den Marc Brummund in seinen Film eingebaut hat, liegt nicht allein in der Aufarbeitung der Vergangenheit von Erziehungsheimen in der Bundesrepublik Deutschland. Er verbirgt sich auch in der zeitlichen Verortung der Geschichte am Ende der 1960er Jahre. Während in San Francisco, Paris und Berlin die rebellische Jugend die Straßen erobert und gegen die Generation der Väter und der Täter rebelliert, herrscht in der Provinz noch dumpfe Autorität, die lediglich die weltanschauliche Couleur des Faschismus gegen ein nunmehr vorgeblich christliches Weltbild eingetauscht hat. Und wie sehr falsch verstandene religiöse Werte und der Wunsch nach starken Autoritäten Hand in Hand gehen, kann man gerade in diesen Tagen wieder deutlich sehen – in Deutschland und anderswo.

Bezeichnend ist dabei, dass die Methoden und Erscheinungsformen des überwunden geglaubten Faschismus dabei einfach übernommen werden. Am deutlichsten tritt dies zutage, wenn die Jungs nach dem Appell mit dem Lied „Die Moorsoldaten“ an ihre Arbeit gehen, das 1933 von Inhaftierten des Konzentrationslagers Börgermoor geschaffen wurde.

Getragen wird dieses emotional wuchtige Drama von exzellenten Darstellern, der sensiblen Kameraarbeit Judith Kaufmanns, die es versteht, den Bildern immer wieder die verwaschene Farbcharakteristik verblasster Fotografien aus jener Zeit zu geben, und der Unerbittlichkeit, mit der die Geschichte jede neue Eskalationsstufe erklimmt. Will man überhaupt etwas bemängeln, so ist dies allenfalls die omnipräsente Filmmusik von Anne Nikitin, die kaum einen Moment der Ruhe zulässt. Dies passt zwar durchaus zur Getriebenheit des Stoffes, findet aber nicht immer die angemessenen Töne für die düstere Charakteristik des Erzählten. Allerdings hat man dieses zugegebenermaßen kleine Manko schnell vergessen, denn die Drastik der Geschichte steckt diese Unstimmigkeit locker weg.
 

Freistatt (2015)

Wolfgang (Louis Hoffmann) ist wohl das, was man damals „renitent“ nannte – heute würde man ihn wohl als ganz normalen 14-jährigen begreifen, der mitten in der Pubertät steckt. Ein rebellischer Junge, der vor allem gegen den strengen Stiefvater (Uwe Bohm) opponiert, der solche Zweifel an seiner absoluten Autorität nicht mehr länger dulden mag.

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Meinungen

Martin MITCHELL · 20.08.2015

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Short English language summary of the German CINEMA-FILM "FREISTATT" by film director Marc Brummund.

Full length MOVIE, set in the year 1968, regarding a still existing WEST-GERMAN EVANGELICAL-LUTHERAN INSTITUTION FOR TEENAGE BOYS – „FREISTATT“ – in Lower Saxony ( County of Diepholz ) – part of the "von Bodelschwinghschen Antalten, BETHEL" ( = "HOUSE OF GOD" ) ( founded in and existing since 1899 !! ) – situated in a peat bog, run and ruled throughout "by an iron fist" by ʻbrethren of the evangelical-lutheran faithʼ as a lucrative peat-harvesting-and-manufacturing-enterprise. A LITERAL CHILD WELFARE HELL-HOLE OF THE WORST KIND !!
This full length MOVIE "FREISTATT", named after the INSTITUTION „FREISTATT“, a name that literally translated means, of all things, "REFUGE", depicts the indescribable suffering of the boys undergoing this slave labour in this Christian institution more than two decades after the Fall of the Third Reich.

I myself, born in July 1946, was interned in this institution and subjected to this slave labour and abuse in this very peat bog in 1963.

The BETHEL-OWNED peat manufacturing plant in „FREISTATT“ did not cease production until 1995.

In Australia, where I fled to/migrated to in March 1964 and have lived ever since, the Film is not being shown.
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