For No Eyes Only

Eine Filmkritik von Jörg Gottschling

Mit Hitchcock durch den Schulalltag

Es könnte gerade nicht schlechter laufen: Der Hockey-Spieler und Informatik-Nerd Sam (Benedict Sieverding) sitzt zu Hause fest, weil sein Schienbein durch einen Unfall im Training zerschmettert wurde. Schuld an dem Malheur ist Sams neuer Mitschüler Aaron (Tali Barde) – ein undurchsichtiger und zwielichtiger Typ, über den kaum jemand etwas weiß.
Weil die Verletzung Sam nahezu bewegungsunfähig gemacht hat, vertreibt der sich sein Wochenende mit Junk Food und Videospielen. Durch einen Kumpel gelangt er an ein Hack-Programm, mit dem er sich in Webcams anderer Computer einwählen kann. Dank des ambitionierten Projekts „SchulConnect“, das jeder Schüler auf dem hauseigenen Rechner seit kurzer Zeit installiert haben soll, erhält Sam nach einigen Modifizierungen unbegrenzten Zugriff auf die gesamten Webcams seiner Mitschüler.

Wie folgenschwer sein Hack ist, bekommt Sam schon bald zu spüren: Ausgerechnet Livia (Luisa Gross), das Mädchen, in das er sich gnadenlos verschossen hat, möchte einen Tag, nachdem er sie ausgespitzelt hat, von ihm Informatik-Nachhilfe bekommen. Blöd nur, dass sie prompt bei der Besichtigung seines Zimmers sein kleines Geheimnis entdeckt. Statt jedoch komplett verärgert abzuhauen, findet sie Gefallen an dem Treiben von Sam – und so hocken die beiden fortan gemeinsam vor den Kameras und beobachten Mitschüler und Lehrer.

Doch schon bald packt Sam das schlechte Gewissen und er erkennt, dass sein kleines Spielchen mehr als nur ein harmloser Blick auf das Leben seiner Mitmenschen ist – es ist ein tiefer Eingriff in deren Privatsphäre. Und diese offenbart nicht nur tiefe Einblicke ins Dekolleté der Damen, sondern kann auch dunkle Geheimnisse aufdecken, von denen man besser niemals erfahren hätte. Denn als Sam eines Abends beim Ausspionieren von Aaron diesen mit einem Messer in sein Zimmer gehen sieht, schlagen bei Sam die Alarmglocken. Da er einen Tag vorher einen großen Streit zwischen Aaron und seinem Vater beobachtet hat, hat Sam einen schwerwiegenden Verdacht: Aaron könnte seinen Vater ermordet haben.

Mit Hilfe von Livias Charme können sich die beiden Zugang zu Aarons Haus verschaffen und verwanzen es. Trotz aller glasklaren Beweise, dass alles normal ist, steigert sich Sam jedoch immer weiter in seine Sicht der Geschichte hinein, während bei Livia zunehmend Zweifel an Sams Zurechnungsfähigkeit wachsen. Interpretiert Sam zu viel hinein oder hat Aaron vielleicht doch etwas zu verbergen?

Ein unbeholfener Junge und ein selbstbewusstes Mädchen verstricken sich aufgrund ihrer Neugier immer weiter in Probleme und kommen sich dabei näher — eigentlich keine sonderlich neue Geschichte. Der Film For No Eyes Only nimmt dies jedoch nur als Grundgerüst und überzeugt durch sein pointiertes Spiel, in dem er die klischeebehaftete Erwartungshaltung des Publikums gleichzeitig erfüllt und diese zugleich immer wieder zu unterlaufen versteht.

Der Film spielt gleich im doppelten Sinne mit den Erwartungen der Zuschauer und lässt diese immer wieder ins Leere laufen: Er zeigt einerseits einen Charakter, der an seinem eigenen Verstand zweifelt und führt zeitgleich den Zuschauer in die Irre, ob er dem trauen kann, was er da eigentlich sieht. Schon die Hauptfigur Sam stellt in gewisser Weise ein doppelbödiges Spiel mit den Erwartungen dar: Denn er ist, auch zur Verwunderung von Livia, nicht nur ein typischer Nerd, sondern auch ein erfolgreicher Top-Sportler.

Ausgesprochen ironisch zeigt sich For No Eyes Only vor allem in seiner Darstellung des Schulalltags: Mitschüler werden beiläufig gezeigt, ohne für die Geschichte von Bedeutung zu sein und werden doch durch einzelne Minigeschichten kurzzeitig herausgehoben aus der uniformen Masse. In diesen Szenen halten sie beispielsweise gelangweilt Referate und beziehen sich auf die „Quelle: Wikipedia“, während die Lehrer, denen dies offensichtlich alles gleichgültig ist, sogar noch für diese zweifelhafte Leistung applaudieren.

Auch Sams Bruder, der noch als erstes Hack-Opfer herhalten musste und zu Beginn bedeutend für den Film schien, wird im Laufe des Films zu einem „running gag“ oder einer Art Leitmotiv. So taucht er immer in den Momenten auf, in denen Sam am meisten Unterstützung gebrauchen könnte. Allerdings zeigt sein Bruder in eben diesen Momenten nur wenig Interesse, Sam, der durch sein kaputtes Bein sehr eingeschränkt ist, in irgendeiner Form beizustehen.

In einem anderen Beispiel verliert sich ein Polizist in einem Verhör gegen Ende des Films völlig in seiner Routine und wirft ein Zuckerstückchen nach dem anderen in seinen Kaffee. Wie selbstverständlich wird dieses Zuckergemisch schließlich zum Erstaunen von Sam und Livia auch getrunken, ohne dass der Ermittler dabei auch nur eine Miene verziehen würde. Es sind genau diese kleinen Zeichen von kollektivem Desinteresse und diese absurden Nebensächlichkeiten mancher Nebenpersonen, die den subtilen Humor des Films ausmachen.

Weil For No Eyes Only aber nicht nur witzig, sondern auch packend ist, versteht es der Film auch, den Zuschauer zu fesseln und gerade gegen Ende überzeugt er durch ein Finale voller Wendungen. Die Kamera sorgt dabei für eine dichte, spannende Atmosphäre und lässt den Film zeitweise wie ein klaustrophobisches Kammerspiel wirken.

Wobei sich überhaupt die Kamera zu einem heimischen Hauptdarsteller entwickelt: Eigenwillige Perspektiven — gerne von unten und selten waagerecht — geben dem Zuschauer bisweilen selbst das Gefühl, gerade heimlich die Voyeure bei ihrem Treiben zu beobachten. So wird der Zuschauer gewissermaßen zum Voyeur des Voyeurs — zweifelsohne eine gelungene Reminiszenz an das eigene Konsumverhalten des Publikums.

Tali Barde, gerade einmal 24 Jahre alt, hat das Drehbuch geschrieben, den Film produziert, führt Regie und spielt als zwielichtiger Aaron auch noch eine der Hauptrollen. Ihm ist es mit For No Eyes Only gelungen, sich auf humorvolle und aufregende Art und Weise mit den Gefahren der „Generation Facebook“ auseinanderzusetzen. Gleichzeitig gelingt ihm eine moderne Version seiner offensichtlichen und auch gerne eingestandenen Inspirationsquelle Fenster zum Hof / Rear Window von Regisseur Alfred Hitchcock.

Der Film For No Eyes Only entwickelt sich von einer Teenagerkomödie zu einem waschechten Thriller im Geiste Hitchcocks und spart dabei nicht an süffisant-frechen Untertönen – der große Meister wäre vermutlich wirklich stolz auf euch! Zumindest ein klein wenig…

For No Eyes Only

Es könnte gerade nicht schlechter laufen: Der Hockey-Spieler und Informatik-Nerd Sam (Benedict Sieverding) sitzt zu Hause fest, weil sein Schienbein durch einen Unfall im Training zerschmettert wurde. Schuld an dem Malheur ist Sams neuer Mitschüler Aaron (Tali Barde) – ein undurchsichtiger und zwielichtiger Typ, über den kaum jemand etwas weiß.
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