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Werner Herzogs Klassiker „Fitzcarraldo“ (1982) mit Klaus Kinski gipfelt in einer legendären Bergrücken-Überquerung – und ist als Film nicht weniger ambitioniert als das, wovon er erzählt.

Fitzcarraldo (1982)

Eine Filmkritik von Andreas Köhnemann

Keine Hemmungen

Es gibt im Bereich des Arthouse-Kinos viele Werke, die gerade deshalb als so wertvoll erachtet werden, weil sie im Gegensatz zum Mainstream-Bombast als kleine, feine, funkelnde Perlen erscheinen. Doch Filmkunst und übersteigerter Aufwand – das muss sich nicht zwangsläufig ausschließen. Eines der eindrücklichsten Beispiele hierfür ist Werner Herzogs Abenteuerdrama „Fitzcarraldo“ aus dem Jahr 1982. Ein Film, der nicht erst heute, vier Dekaden nach seiner Uraufführung, sondern gefühlt schon immer eine Legende, ein Mythos ist – nicht nur larger than life, sondern auch viel größer als jeder Traum.

Nach Aguirre, der Zorn Gottes (1972), Nosferatu – Phantom der Nacht und Woyzeck (beide aus dem Jahr 1979) war Fitzcarraldo Herzogs vierte Zusammenarbeit mit Klaus Kinski – eine Kollaboration mit etlichen Kollateralschäden. Das ambivalente Verhältnis zwischen dem Regisseur und dem 1991 verstorbenen Schauspieler wurde von Ersterem in Mein liebster Feind (1999) ausführlich dokumentiert. Dass Herzog darin erzählt, während des Fitzcarraldo-Drehs von den peruanischen Ureinwohnern das Angebot erhalten zu haben, den zu extremen Wutausbrüchen neigenden Kinski zu töten (!), vermittelt wohl ein recht treffendes Bild davon, wie strapaziös die Entstehung dieses Films gewesen sein muss.

Oft hat es etwas unangenehm Hämisches, über die chaotische Hintergrundgeschichte eines Films zu berichten. In diesem Fall jedoch dient die Schilderung nicht der schnöden Entzauberung, sondern verleiht dem Ganzen eine Metaebene, die das Ergebnis nur noch faszinierender macht. Das Werk erzählt, in Anlehnung an den real existierenden Unternehmer und Kautschukhändler Carlos Fermín Fitzcarrald (1862-1897), von Brian Sweeney Fitzgerald (Kinski), genannt Fitzcarraldo, der mit zunehmender Besessenheit den Traum verfolgt, in Iquitos im Dschungel Perus ein Opernhaus zu errichten und dort den italienischen Tenor Enrico Caruso auftreten zu lassen. Als er von dem Großgrundbesitzer Don Aquilino (José Lewgoy) von einem Landstück erfährt, auf dem Kautschuk gewonnen werden kann, sieht Fitzcarraldo darin die Chance, sein angestrebtes Opernhaus zu finanzieren. Dank der Unterstützung seiner Freundin, der Bordellbesitzerin Molly (Claudia Cardinale), kann er das Land sowie ein altes Dampfschiff erwerben. Doch die gewaltigsten Hürden sind damit noch keineswegs genommen.

Fitzcarraldo ist einerseits ein Film über das Scheitern, über Irrtümer und über gefährlichen Größenwahn. Andererseits aber auch, auf höchst seltsame Art und Weise, über einen persönlichen Triumph. Über die Nicht-Erfüllung und zugleich über die Erfüllung einer Vision. Und gewissermaßen lässt sich das auch über Herzog und dessen Arbeit sagen. Der Dreh in Peru war offenkundig ein Fiasko. Es kam zu Umbesetzungen (u. a. waren Jack Nicholson und Jason Robards für die Titelrolle vorgesehen, in Nebenparts sollten Mick Jagger und Mario Adorf agieren), es taten sich Finanzierungsprobleme auf – und es ereigneten sich mehrere Unfälle am Set. Herzog aber ging mit absoluter Entschlossenheit seinem Plan nach. Er wollte nicht auf Spezialeffekte, Plastikmodelle und sichere Studio-Kulissen setzen, weshalb es in der wohl berühmtesten Sequenz des Films eben ein echter Dampfer ist, der über einen echten Berg mitten im Urwald gezogen wird. Auch Herzog selbst erkannte die Parallelen zwischen sich und seiner allzu verbissenen Hauptfigur.

Hatte sich Herzog seinen Film und dessen Realisierung anders vorgestellt? Ganz gewiss. Ist Fitzcarraldo dennoch ein Meisterstück der Kinohistorie geworden? Auch das dürfte gewiss sein. Es ist unmöglich, Berge zu versetzen, und irgendwie ist es doch möglich: Das zeigt die Entstehung des Films – und das sehen wir auch auf der Leinwand. Die US-Kritiker-Ikone Roger Ebert hat Fitzcarraldo seinerzeit in einem Atemzug mit den modernen Klassikern 2001: Odyssee im Weltraum (1968) und Apocalypse Now (1979) genannt. Und in geringeren Dimensionen lässt sich über diesen Film auch wirklich nicht nachdenken.

Selbst das vermeintlich Kleine ist hier ganz, ganz groß – etwa der Auftritt von Claudia Cardinale. Gemessen an ihrer Screentime fungiert die Italienerin in Fitzcarraldo eher als Nebendarstellerin; in ihrer Wirkung ist sie indes einfach nur eine Wucht. So wie sich hier nahezu alles mit Begriffen wie wuchtig, episch, erhaben oder überwältigend beschreiben lässt: die Aufnahmen des Kameramanns Thomas Mauch, die widerständige Natur, die Opernklänge aus dem Grammofon – und nicht zuletzt selbstverständlich das exzentrische Spiel Kinskis, im hellen Leinenanzug und mit wildem Blick. Herzog vereint in Fitzcarraldo Realismus und Stilisierung, Erfolg und Misserfolg, Arthouse und Event. Er geht an Grenzen und sehr weit darüber hinaus.

Fitzcarraldo (1982)

Der irische Abenteurer Brian Sweeney Fitzgerald, genannt Fitzcarraldo (Klaus Kinski), ist nach Südamerika aufgebrochen, um dort mit allerlei Geschäften sein Glück zu machen. Doch seine Unternehmungen sind nicht gerade erfolgreich, ein Eisenbahnprojekt in Peru scheitert ebenso wie andere Pläne.

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