Die Nonne (2013)

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Klerikale Machtstrukturen

Manchmal genügt ein falscher Ton, ein unbedachtes Wort, eine missverständliche Äußerung, um einen Lebenslauf entscheidend zu verändern. Genau das widerfährt auch der 16 Jahre alten Suzanne Simonin (eine echte Entdeckung in der Rolle ist Pauline Etienne, die abwechselnd an die junge Isabella Rossellini und dann wieder an Helena Bonham-Carter in ihren frühen Rollen erinnert), einer Tochter aus bürgerlichem Haus im Frankreich der 1760er Jahre.

Als jüngste Tochter ihrer Familie widerfährt ihr die „Ungnade der späten Geburt“. Weil für sie als Nesthäkchen keine Mitgift mehr übrig ist und weil sie unbedacht in frühen Jahren geäußert hat, sie werde allein nur Jesus lieben, wird sie von ihren Eltern in ein Kloster gesteckt und soll dort nach dem Noviziat ihr Gelübde ablegen. Ein Schicksal, das seit dem Mittelalter viele junge Frauen erleiden mussten, denn außer der Heirat oder einem Leben als Nonne sah die göttliche Weltordnung nicht vor, dass Frauen allein und selbstbestimmt ein Leben ohne weltlichen oder göttlichen Ehemann führen können. Diese Suzanne aber ist anders, sie fügt sich erst und rebelliert dann gegen das scheinbar unabwendbare Schicksal. Als die Suzanne wohlgesinnte alte Oberin (Francoise Lebrune) ihres Ordens verstirbt und die junge, sadistisch veranlagte Schwester Christine (Louise Bourgoin) die Leitung des Klosters übernimmt, beginnt für die junge Frau ein unglaublicher Leidensweg. Systematisch wird sie all ihrer Rechte beraubt und am Schluss wie ein Tier gehalten, gefoltert, misshandelt und verachtet.

Und selbst als die Obrigkeit auf die Missstände aufmerksam wird, ist Suzannes Leidensweg nicht vorbei: Zur Erholung in ein anderes Kloster gebracht, sorgt ihre anziehende Erscheinung dort für emotionale Verwicklungen, die bald unangenehme Folgen zeitigen. Zudem entdeckt Suzanne ein Geheimnis, das ein ganz anderes Licht auf ihren bisherigen Leidensweg wirft: Sie ist die Frucht einer illegitimen außerehelichen Beziehung ihrer Mutter (Martina Gedeck) und muss somit auch für die Verfehlung ihrer Mutter büßen.

Denis Diderots Roman La religieuse zählt zu den meistgelesenen Werken des Aufklärers und Universalgelehrten in Frankreich und gilt bis heute als Grundlagentext zum Verständnis der in Frankreich auf die Spitze getriebenen Trennung von Staat und Kirche. Regisseur Guillaume Nicloux belässt es aber nicht allein bei Diderots religionskritischem Ansatz, sondern zielt auch auf die gesellschaftlichen Verhältnisse ab, die Geschichten wie diese überhaupt erst ermöglichten. Über zwei Drittel seines Film hält der Filmemacher diesen Ansatz auch durch, doch als Suzanne unter die Fittiche der zunächst wohlwollenden, dann aber zunehmend liebestollen Oberin des zweiten Konvents (Isabelle Huppert) gerät, wechselt der Film recht abrupt seinen Tonfall: Aus der bitteren Tragödie wird nun plötzlich fast schon eine Farce, was nicht zuletzt mit Hupperts übertriebener Darstellung einer sexuell frustrierten und liebeshungrigen Klerikerin zusammenhängt.

Interessant ist in diesem Zusammenhang auch die (un)heilige Dreifaltigkeit klerikaler Machtstrukturen, die Guillaume Nicloux neben der verfolgten Unschuld auf die Leinwand bringt: Neben Güte sind es vor allem Sadismus und das unterdrückte sexuelle Verlangen, die sich durch die Charaktere der drei Oberinnen vermitteln. Ganz dem Geist der traditionalistischen Aufklärung verpflichtet sind es neben dem unschuldigen Wesen Suzannes hier vor allem die Männer, die das Licht der Aufklärung weiterreichen — sei es in Gestalt des Anwalts, des Beichtvaters, des mit der Aufklärung der Missstände beauftragten Kardinals oder auch des leiblichen Vaters von Suzanne, der sich schließlich in der Rahmenhandlug als treibende Kraft hinter ihrer Befreiung entpuppt.

Aus heutiger Sicht mag so viel patriarchale Güte wenig angemessen erscheinen, doch man darf nicht vergessen, dass dies durchaus dem Denken der Aufklärung entspricht: Bis zu einer wirklichen Emanzipation lag für die Frauen noch ein langer Leidensweg, der auch heute noch nicht abgeschlossen ist.

Bemerkenswert ist die Religionskritik des Filmes vor allem deswegen, weil Nicloux sie hier nicht als Ausgeburten eines buchstäblich finsteren mittelalterlichen Aberglaubens inszeniert, sondern als Missstände, die alltäglich und quasi systemimmanent geschehen. Das Böse, das sich im Leidensweg Suzannes offenbart, findet am Tage statt, im milden Zwielicht des Morgens, unter den Augen der klösterlichen Öffentlichkeit, mitten im ersten Aufscheinen des Lichtes der Aufklärung. Wenn man so will, kann man darin durchaus eine Parallele zu späteren Manifestationen des Bösen sehen — zu dem Unrecht, das auch heute noch vor unseren Augen geschieht. So unmodern und historisierend Die Nonne auf den ersten Blick erscheint, verbirgt sich in ihm doch zwar keine neue Botschaft, aber eine, an die offensichtlich immer wieder erinnert werden muss: Der Grat zwischen strengen Prinzipien und rüdem Fanatismus ist schmal und wo ein höherer Wille Taten legitimiert, ist Machtmissbrauch, Fanatismus und Totalitarismus nicht weit.
 

Die Nonne (2013)

Manchmal genügt ein falscher Ton, ein unbedachtes Wort, eine missverständliche Äußerung, um einen Lebenslauf entscheidend zu verändern. Genau das widerfährt auch der 16 Jahre alten Suzanne Simonin (eine echte Entdeckung in der Rolle ist Pauline Etienne, die abwechselnd an die junge Isabella Rossellini und dann wieder an Helena Bonham-Carter in ihren frühen Rollen erinnert), einer Tochter aus bürgerlichem Haus im Frankreich der 1760er Jahre.

  • Trailer
  • Bilder

Meinungen

Martin Zopick · 20.02.2020

Guillaume Nicloux hat den Roman von Diderot 2013 erneut verfilmt und legt ein ähnlich gutes Produkt vor wie seinerzeit Jacques Rivette (1966). Die anderen Nonnenfilme liegen im Mainstream Hollywoods und vertiefen andere Themen.
Denise Diderot war einer der geistigen Wegbereiter der Französischen Revolution von 1789. Und als solchen muss man ihn heute sehen. Sein Briefroman war bei seinem Erscheinen soziales Dynamit und besitzt heute immer noch den Makel der Ungeheuerlichkeit für Fundamentalisten. Verbale Angriffe auf Kirche und Klerus legen Landminen in Dialoge. (z.B. ‘auch die Ehe kann die Hölle sein‘.)
Suzanne Simonin (eindrucksvoll Pauline Étienne) wird als uneheliches Kind von ihrer Mutter (Martina Gedeck) gegen ihren Willen in ein Kloster geschickt. Sie verweigert das Gelübde und wird daraufhin von ihrer sadistischen Oberin (Louise Bourgoin) bösartig malträtiert. Im Kloster weht ein Hauch von autokratischer Diktatur, wobei Folter zur Beugung des Willens der Novizinnen an der Tagesordnung sind. Väterchen Stalin hätte seine Freude an diesem Klosterleben gehabt.
Ein Advokat rollt Suzannes Fall auf. Eine neue Oberin (Isabelle Huppert) kommt und verliebt sich in sie. Sie steigt zu ihr ins Bett. Beide Mädels verhindern einen Softporno. Ihr Beichtvater, der zum Priesteramt gezwungen wurde, verhilft ihr zur Flucht aus dem ‘Klostergefängnis‘. Bevor sie ihren leiblichen Vater treffen kann, stirbt er. Beeindruckend ohne zu übertreiben. Ein sanfter Ausklang nach all dem Leiden.

ness · 08.11.2013

Dieser Film ist die größte Lüge des Jahrhunderts was Frauenrechte angeht. Voll von Vorurteilen und Lügen über die Situation der Frauen in dieser Mann? Männer starben im Krieg, mussten hart arbeiten um die Fammillie zu ernähren , mussten für ihre Familie Verantwortung tragen (nicht wie die "Männer" von heute)..Was haben wir heutzutage?Alleinerziehende Frauen, die in Armut leben, kaputte Familien, Kinder ohne Väter weil Männer nicht mehr wissen, was Männlichkeit und Verantwortung sind. Die Kirche war damals ein Garant der Ordnung (auch wenn manche Priester sie verschmutzt haben), siw war Garant der Familienstruktur..Finden Sie, dass die Gesellschaft heutzutage besser isst? jeder macht was er will und Kinder haben keinen Respekt mehr, mehr Depression wie je...ich höre da auf...einfach lächerlich.

Rincewind · 26.03.2020

Krasse Ansicht, das muss katholisch sein oder irgend eine andere fundamentale Sekte ;-)