Das Kabinett des Dr. Parnassus

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Vom Zauber und den Schwierigkeiten des Geschichtenerzählens

Es würde kaum verwundern, wenn jeder neue Film, ja selbst jede Ankündigung eines neuen Projekts von Terry Gilliam bei den britischen Buchmachern einen wahren Andrang auf die Wettbüros der Insel auslösen würde. Zu großartig ist das Werk des ehemaligen Monty-Python-Mitgliedes – und zu legendär die Geschichte seiner Schwierigkeiten, Hindernisse und gescheiterten Projekte. Betrachtet man das bisherige Werk des Regisseurs und seine wechselvolle Karriere, kommt man nicht umhin, neben anerkannten Meisterwerken wie Brazil, König der Fischer, 12 Monkeys und Fear and Loathing in Las Vegas immer wieder auch auf legendäre Flops wie Die Abenteuer des Barons Münchhausen, Brothers Grimm und Tideland zu verweisen und auf etliche Projekte, die bereits vor ihrer Realisierung scheiterten. Neben Time Bandits 2 sowie etlichen Projekten, für die er im Gespräch war und die dann von anderen Regisseuren übernommen wurden (wie Charlie und die Schokoladenfabrik, Harry Potter, Watchmen, A Scanner Darkly) hatte im Jahre 2001 vor allem der Abbruch der Dreharbeiten zu The Man Who Killed Don Quixote für einiges Aufsehen gesorgt.
Und als wüsste der Regisseur selbst um die Unsicherheit seiner Projekte und um seine – nennen wir es ruhig einmal so altmodisch – „Bestimmung“, trotz aller Hindernisse immer wieder aufs Neue das Wagnis auf sich zu nehmen, seine Geschichten auf die Leinwand bringen zu müssen, kann er es einfach nicht lassen. Wie auch sein neuestes Werk Das Kabinett des Dr. Parnassus zeigt, das während der Dreharbeiten ebenfalls unter keinem guten Stern stand – mitten in der Realisierung starb Heath Ledger, der eine der Hauptrollen innehatte, so dass es so aussah, als könne auch dieser Film nicht mehr zu Ende geführt werden. Und selbst die Nachricht, dass Johnny Depp, Colin Farrell und Jude Law gemeinsam die Rolle Ledgers übernehmen würden, sorgte eher für Erstaunen als für ein Gefühl der Erleichterung: Drei Darsteller statt einem – wie sollte das gehen? Das Erstaunliche und die gute Nachricht für alle Fans: Gilliams Verzweiflungstat funktioniert und fügt sich erstaunlich gut in den versponnenen Fluss der Erzählung ein. Wüsste man es nicht besser, könnte man beinahe meinen, der Film sei von Anfang an so geplant gewesen.

Das Kabinett des Dr. Parnassus erzählt die Geschichte eines umherziehenden Magiers (Christopher Plummer), der es dank seines Imaginariums versteht, die Menschen –sofern sie denn Willens sind – in eine fremdartige Welt hinter den Spiegeln zu entführen, wo sie all das sind und werden, was sie sich immer schon gewünscht haben. Doch in Zeiten von Fernsehen, Internet und anderen Zerstreuungen ist solch eine Wunscherfüllungsmaschine alten Stils obsolet geworden. Und ihr Besitzer ein müder Mann, der sich nicht länger verlachen und verhöhnen lassen will. Begleitet wird Parnassus von seinen beiden Gehilfen Anton (Andrew Garfield) und Percy (Verne Troyer) sowie von seiner Tochter Valentina (Lily Cole). Außerdem ist ihm auch der leibhaftige Teufel in Gestalt von Mr. Nick (Großartig: Tom Waits) auf den Fersen, mit dem Parnassus vor langer Zeit einen verhängnisvollen Pakt geschlossen hat – im Gegenzug für die eigene Unsterblichkeit versprach Parnassus ihm die Seele seiner Tochter, sobald diese ihren 16. Geburtstag feiere. Nun rückt das unheilvolle Datum immer näher. Doch der Teufel ist ein Spieler und bietet dem verzweifelten Vater eine Wette an: Wenn es diesem vor Mr. Nick gelänge, innerhalb von drei Tagen fünf Seelen zu gewinnen, wäre Valentina gerettet. Zunächst scheint die Wette unmöglich zu gewinnen, doch als die Schaustellertruppe einen geheimnisvollen Fremden (Heath Ledger) aufgabelt, ist das Spiel zwischen Parnassus und Mr. Nick plötzlich wieder offen. Denn Tony, so der Name des Fremden, erweist sich als begnadeter Seelenfänger…

Vielleicht meint Terry Gilliam mit seinem Imaginarium ja das Kino selbst, ist er in gewisser Weise selbst ein alternder Doktor Parnassus, der nicht mehr so richtig in die Zeit passen mag. Denn was ist das Kino anderes als eine Bildermaschine, ein Imaginarium eben? Insofern beschreibt Gilliams neuer Film das Wesen des Kinos punktgenau und voller Anspielungen auf den Illusionscharakter des Kintopps und dessen Wurzeln im Jahrmarktszauber, in den Schaubuden, Kabaretts und Wandertheatern.

Seine bildgewaltige Hommage an den ewigen Kampf zwischen Hell und Dunkel, Sein und Schein, Gut und Böse drängt Assoziationen wie diese geradezu auf, gibt den Zuschauern immer wieder Rätsel auf, lässt sie sich in den Labyrinthen der Geschichte verirren, um wie ein Zauberer neue Metaphern und unerwartete Wendungen aus dem Hut zu zaubern. Abermals erweist er sich als Schöpfer phantastischer Welten, die trotz ihres Märchencharakters sehr viel erzählen, was die großen und universellen Themen der Menschheit sind. Das alte Feuer, die überschäumende, manchmal auch übertriebene Phantasie des Magiers Gilliam, sie berührt und verzaubert in vielen Szenen des Films noch immer, regt an zum Weiterdenken, zum Träumen, zum Geschichtenerzählen oder dazu, sich in Geschichten, Märchen, Legenden hineinfallen zu lassen.

Bei aller Magie wohnt aber auch diesem neuen Film Gilliams das Scheitern inne, gibt es Elemente, die sich nicht so recht in die Flut der Bilder, Dekors, kleinen Details und der liebevoll gezeichneten Miniaturen einfügen wollen: Bei Das Kabinett des Dr. Parnassus sind dies vor allem die sehr clean und steril umgesetzten Animationssequenzen, die die Welt hinter den Spiegeln zeigen. Sie wollen sich nicht so recht ins Bild fügen und bilden einen scharfen, aber wenig gelungenen oder gar reizvollen Kontrast zum bewährten Steampunk-Look der Realsequenzen. Wehmütig erinnert man sich hier an Gilliams alte Legetrick-Filmchen für Monty Python’s Flying Circus und wünscht sich eine modernisierte Entsprechung und Weiterentwicklung der Technik für seinen neuen Film.

„You can’t stop stories from being told“, lautet das klammheimliche Motto dieses Films. Und es könnte auch gut als Lebens- und Arbeitsmotto auf Terry Gilliam selbst angewandt werden, der sich nun laut Presseberichten abermals daran macht, das bereits einmal mit großem Getöse gescheiterte Filmprojekt The Man Who Killed Don Quixote in Angriff zu nehmen. Vielleicht wird dies dann endlich das ersehnte Meisterwerk, auf das viele Fans warten. In Ansätzen zeigt Gilliam jedenfalls auch in Das Kabinett des Dr. Parnassus, dass er immer noch ein unermüdlicher Zauberer und begnadeter Geschichtenerzähler ist, dessen Welten stets auch die Möglichkeit des Scheiterns in sich tragen. Trotz aller Schwächen und Hindernisse, mit denen sich Gilliam auch in seinem neuen Film über die Macht des Geschichtenerzählens auseinander zu setzen hat: Es ist schön und irgendwie beruhigend, dass es solche wagemutigen Filmemacher überhaupt noch gibt.

Das Kabinett des Dr. Parnassus

Es würde kaum verwundern, wenn jeder neue Film, ja selbst jede Ankündigung eines neuen Projekts von Terry Gilliam bei den britischen Buchmachern einen wahren Andrang auf die Wettbüros der Insel auslösen würde. Zu großartig ist das Werk des ehemaligen Monty-Python-Mitgliedes – und zu legendär die Geschichte seiner Schwierigkeiten, Hindernisse und gescheiterten Projekte.
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