Auf Ediths Spuren

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Die vielen Leben der Edith Suschitzky

„Jede Familie hat ihre Geheimnisse“ heißt es gleich zu Beginn von Peter Stephan Jungks dokumentarischer Aufarbeitung Auf Ediths Spuren. Eine Aussage, die sicherlich fast jeder bestätigen kann, doch man muss auch zugeben, dass nur wenige Mysterien so filmreif, spannend und voller ambivalenter Bezüge in die Zeitgeschichte sind wie jenes Mehrfachleben, das die Großtante des Filmemachers führte und das er hier kunstvoll entblättert und wie einen Bilderbogen des 20. Jahrhunderts vor dem staunenden Zuschauer ausbreitet.
Edith Suschitzky, die später aufgrund ihrer Heirat mit einem lebensuntauglichen Arzt zu Edith Tudor-Hart werden sollte, ist eine faszinierende Persönlichkeit: Die Tochter eines sozialistischen Buchhändlers aus Wien-Favoriten, die stets ihre (säkular) jüdische Herkunft negierte, ist eine jener Frauen aus den Jahren zwischen den beiden Weltkriegen, die die Fesseln des Patriarchats abstreiften und selbstbestimmt und –bewusst ihr Schicksal in die Hand nahmen, die sich aber auch – wie in diesem Fall – in den Widersprüchen der Zeit verhedderten. Schon früh kam Edith mit dem Kommunismus in Berührung und begeisterte sich zeitlebens für diese Ideologie, der sie vieles opferte und deren grausame Ausformungen beispielsweise während der Ära Stalin sie nach Kräften verdrängte und ausblendete. Zwischendrin war sie Anhängerin der reformerischen Ideen Maria Montessoris, später wurde sie zur Studentin am Bauhaus in Dessau und sollte schließlich zu einer der zentralen Persönlichkeiten der sozial engagierten Fotografie dieser Zwischenkriegszeit werden, deren Bilder exakte Eindrücke der Verwerfungen der 1930er Jahre vermittelten.

Doch noch etwas kommt hinzu – und genau das gibt diesem Film eine zutiefst abgründige und ambivalente Färbung: Nicht aus Geldgier, sondern aus Überzeugung und Idealismus war Edith Tudor-Hart auch eine Spionin im Dienste des KGB und der Sowjetunion, deren Wirken nicht nur die Gründung des später enttarnten Spionage-Rings der Cambridge Five und die Installierung des Doppelagenten Kim Philby umfasste, sondern die zudem nicht unerheblich daran beteiligt war, dass die Sowjetunion unter Josef Stalin in den Besitz der Atombombe gelangte.

Begleitet wird dieses prallvolle Leben in all seinen disparaten Facetten von unglücklichen Liebesgeschichten und Affären, von persönlichem Leid wie der psychischen Erkrankung ihres Sohnes, von der ständigen Angst vor Entdeckung und Enttarnung bis hin zu immer wiederkehrender Phasen großer Armut, die diese stolze, mutige und kluge Frau in ihrer Gesamtheit brachen.

Peter Stephan Jungks nähert sich diesem Leben seiner Großtante mit Respekt und Sympathie, aber auch mit geschärftem Sinn für die Widersprüchlichkeiten und Brüche in dieser Biographie. Er steigt hinab in staubige Archive, spricht mit Experten für Fotografie, Kennern des KGB sowie mit dem über hundertjährigen Bruder seiner Verwandten, der all die Entdeckungen des Filmemachers gar nicht glauben mag. Mit leichter Hand und mittels wundervoller Animationen irgendwo zwischen ligne claire und Film noir lässt er ganze Lebensabschnitte aus dem Staub der Vergangenheit wiederauferstehen, montiert die Fundstücke und Puzzleteile stets im Dienste der Geschichte ebenso schlüssig wie flüssig zusammen und entfaltet so ausgehend vom eigenen Interesse an der Erkundung des Lebens einer Verwandten das Panorama eines Lebens, das tief in seine Zeit hineinstrahlte.

Die Dunkelkammern der Edith Tudor-Hart lautet der Titel des 2015 erschienen Buches, mit dem der Journalist, Autor und am American Film Institute ausgebildete Filmemacher die Ergebnisse seiner biographischen Schnitzeljagd festgehalten hat. Etwas von dieser Jagd drückt sich auch im internationalen Titel des Films aus – man kann Tracking Edith als detektivische, biographisch begründete Detailarbeit sehen, mit einigem Recht aber auch als (Zeit-)Porträt und Jagd nach einem vielschichtigen Phantom. Das Schöne dabei: Keiner dieser Aspekte steht allzu sehr im Vordergrund, keiner gerät in Vergessenheit, sondern dank der gleichermaßen souveränen wie Anteil nehmenden Erzählhaltung weben sich die verschiedenen Ebenen der Story wie selbstverständlich zu einem Teppich zusammen, in dessen Betrachtung man sich gerne mit mit einigem Gewinn wie Genuss versenken kann.

Auf Ediths Spuren

„Jede Familie hat ihre Geheimnisse“ heißt es gleich zu Beginn von Peter Stephan Jungks dokumentarischer Aufarbeitung „Auf Ediths Spuren“. Eine Aussage, die sicherlich fast jeder bestätigen kann, doch man muss auch zugeben, dass nur wenige Mysterien so filmreif, spannend und voller ambivalenter Bezüge in die Zeitgeschichte sind wie jenes Mehrfachleben, das die Großtante des Filmemachers führte und das er hier kunstvoll entblättert und wie einen Bilderbogen des 20. Jahrhunderts vor dem staunenden Zuschauer ausbreitet.
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