40 Tage in der Wüste

Eine Filmkritik von Falk Straub

Väter und Söhne

Die Versuchung Jesu ist in der Bibel nur wenige Verse lang. Regisseur und Drehbuchautor Rodrigo García hat daraus ein abendfüllendes Drama mit Ewan McGregor in einer Doppelrolle gemacht. 40 Tage in der Wüste ist aber auch für Nichtchristen sehenswert.
Häufig führt der Weg zur Erleuchtung über die Enthaltsamkeit. „Erfüllt vom Heiligen Geist, verließ Jesus die Jordangegend. Darauf führte ihn der Geist vierzig Tage lang in der Wüste umher“, beginnt das vierte Kapitel des Evangeliums nach Lukas. „Die ganze Zeit über aß er nichts“, verrät uns wenig später der zweite Vers. Und irgendwo dort in der Wüste, irgendwann innerhalb dieses Zeitraums begegnet uns der „heilige Mann“, wie ihn eine Texttafel angekündigt hat, zum ersten Mal. Er will nach Jerusalem, ist dabei vom Weg abgekommen. Wie lange er schon umherirrt, kann er nicht sagen. Nachts plagen ihn Todesvisionen, tags wechselt das Rauschen des Windes mit dem Knistern unter seinen Füßen. Nur ab und an durchbrechen Danny Bensis und Saunder Jurriaans‘ Streicher die Stille. Bis wir die ersten Worte hören, die er in Gedanken an seinen Vater richtet, gehen wir ein gutes Stück mit ihm durch weite Ebenen und weiß leuchtende Schluchten.

In diesen ersten Minuten ist das Drama ganz bei sich. Wie der Protagonist üben auch wir uns in Kontemplation, die uns Regisseur und Drehbuchautor Rodrigo García durch seinen Minimalismus auferlegt. Doch wer die Bibel kennt, weiß, dass der Heiland nicht lange allein bleibt: „und dabei wurde Jesus vom Teufel in Versuchung geführt“, heißt es zwischen den eingangs zitierten Stellen. In 40 Tage in der Wüste trägt der Verführer dasselbe Gesicht wie derjenige, den er zu verführen trachtet. Einzig sein Schmuck, ein paar Ringe an Fingern und Ohr und eine Halskette, gibt ihn bei genauem Hinsehen zu erkennen. Garcías Teufel ist ein eitler Geck, der durchaus Humor und Ewan McGregors schelmisches Grinsen besitzt und so eher an Goethes Mephisto denn an sein neutestamentliches Pendant erinnert.

Mit den drei Versuchungen aus der Bibel hat die Geschichte dann auch nichts zu tun. Seinen Hauptdarsteller ganz dem Spiel mit sich selbst zu überlassen – dieses Wagnis geht der Regisseur allerdings nicht ein. Er erfindet eine Familie hinzu, auf die der Wanderer auf seinem Rückweg nach Jerusalem trifft. Dorthin möchte auch der Sohn (Tye Sheridan), einmal die Stadt, das Meer und den Leuchtturm von Alexandria sehen. Doch sein Vater (Ciarán Hinds) lässt ihn nicht ziehen, will, dass er bei ihm und der todkranken Mutter (Ayelet Zurer) bleibt, die den Sohn lieber heute als morgen wegwünscht, damit er eine Handwerkslehre ergreife. Also bleibt der Fremde, baut mit Vater und Sohn an deren Haus und versucht, zwischen den Familienmitgliedern zu vermitteln.

Nach den starken Frauen in Nine Lives (2005) und Mütter und Töchter (2009) richtet Rodrigo García seinen Blick auf das andere Geschlecht. 40 Tage in der Wüste erzählt eine Geschichte über Väter und Söhne, die auch in der Gegenwart funktionierte. Der Sohn träumt, wovon Teenager 2000 Jahre später noch träumen: seine Zeit nicht vergeuden, Spuren in der Welt hinterlassen. Und er ringt mit dem ewigen Zwiespalt, dem Vater einerseits den nötigen Respekt entgegenzubringen und sich anderseits von ihm zu emanzipieren. Ein Zwiespalt, den Jesus nur allzu gut kennt. Ob sich dessen himmlischer Vater mit seinen Forderungen an den Sohn ebenso schwertut wie der Vater des Jungen oder nur mit den Leben der Menschen spielt? Ein blasphemischer Gedanke, den der Teufel im nächtlichen Feuerschein ausspricht.

Emmanuel Lubezki kleidet Gesichter und Landschaft in betörende Scope-Bilder und beweist damit ein weiteres Mal, warum er gegenwärtig zu den besten Vertretern seines Fachs zählt. Es ist ein unwirtlich-schöner Flecken Erde, an dem sich Leben und Tod die Hände reichen. Und es sind Gesichter, die vom entbehrungsreichen Alltag an diesem Ort ebenso viel erzählen wie von den Beziehungen der Menschen untereinander. Lubezkis entfesselte Kamera, die unter der Regie von Terrence Malick (The New World, Knight of Cups, u.a.), Alfonso Cuarón (Children of Men, Gravity, u.a.) und Alejandro González Iñarritu (Birdman, The Revenant) kaum einmal stillsteht, kommt an diesem Ort mit den Figuren zur Ruhe. In diese wunderbar kadrierten Einstellungen, die die Gesprächspartner perfekt auf die Bildebenen verteilen, können auch wir uns versenken.

40 Tage in der Wüste

Die Versuchung Jesu ist in der Bibel nur wenige Verse lang. Regisseur und Drehbuchautor Rodrigo García hat daraus ein abendfüllendes Drama mit Ewan McGregor in einer Doppelrolle gemacht. „40 Tage in der Wüste“ ist aber auch für Nichtchristen sehenswert.
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