The Villainess (2017)

Eine Filmkritik von Beatrice Behn

Mehr Freiheit wagen!

Neben all dem Arthouse-Kino zeigt das Filmfestival Cannes jedes Jahr eine kleine Handvoll Genrefilme, die hier in Mitternachtsvorstellungen zu sehen sind. Diese Termine sind seit Jahren fest in der Hand des koreanischen und japanischen Kinos, die konstant das Genrekino weiterentwickeln und dessen Form weitertreiben. Jung Byung-gils The Villainess (Ak-Nyeo) führt diese Tradition fort und liefert einen Actionfilm, der einen neuen Standard für das Genre setzt. Zumindest visuell.

Der Film beginnt mit einer knapp 10-minütigen Sequenz, die einem den Atem raubt und ganz klar ein Statement setzt, wie man Action mit den neuen technischen Mitteln auf ein ganz neues visuelles Level heben kann. Hierzu konstruiert Jung Byung-gil eine klassische Ego-Shooter-Szene. Die Kamera übernimmt die subjektive Position einer Figur, die man nicht sieht. Nur ihre Arme und ihre Waffe sind im Bild. Ihre Geräusche, ihr Atmen, ihr Herzschlag sind zu hören. Diese Figur ist in einem verwirrenden Labyrinth aus Türen, Treppen und Räumen, in dem sie dutzende Feinde niederstrecken muss. Dies tut sie zuerst mit einer Pistole, dann mit Wakizashis und einem Katana-Schwert. Oder mit Fäusten. Was eben gerade zur Verfügung steht. Das Blut spritzt jedenfalls in Fontänen. Doch die Kameraführung ist nicht nur Stellvertreter des Figurenblicks, sie macht wirklich jede Bewegung mit, jedes Fallen, Rennen, Schlagen. Man ist direkt mit dem körperlichen Gefühl von Bewegung, Anstrengung, Angriff und vor allem Atemlosigkeit verbunden. Dann bleibt die Kamera mitten in der größten Kampfszene abrupt stehen und aus ihrer Kadrierung springt sie heraus, die Hauptfigur, Sook-hee (Kim Ok-vin), eine Killermaschine, die nach diesen zehn Minuten keine einzige Seele lebend zurückgelassen hat. Es war, wie sich schnell herausstellt, ein Rachefeldzug, der sie zu diesem Gemetzel bewegte. Doch noch bevor sie sich versieht, wird sie von einer Polizei-Sondereinheit gestellt und gezwungen, für eine geheime Regierungsorganisation zu arbeiten. Denn solches Talent zum Metzeln sollte man nicht vergeuden. So beginnt für sie eine lange Ausbildungsphase in einem geheimen Bunker, die sie auf ihre zukünftige Spionagearbeit vorbereitet. Dabei bekommt die junge Frau noch ein Kind. Es ist von ihrem toten Ehemann, der sie einst als junges Mädchen aufgabelte und im Töten ausbildete.

Es ist recht schnell klar, dass The Villainess im Grunde die Geschichte von Luc Bessons Nikita wiederholt. Die Dichotomie junge hübsche Frau und Kampfmaschine ist und bleibt ein Faszinosum. Doch Jung Byung-gil erweitert diese Kategorie mit einer klassisch koreanischen Romanze, ein Schritt, der zumindest auf westliches Publikum recht eigenartig wirkt und den Film, nachdem er im ersten Akt fast nur aus krachend-schweißtreibender Action bestand, plötzlich um 180 Grad dreht. Das Tempo verlangsamt sich auf null und Sook-hee wird von einer harten Kampfmaschine und kompetenten Frau zu einer kleinmädchenhaften Elfe, die sich eigentlich nichts sehnlicher wünscht als einen Mann, der sie in seinen starken Armen hält und ihr pausbackig-niedliches Kind großzieht. Und so findet man sich plötzlich in einer kitschig-süßen Liebesschmonzette wieder, die ab und an, wie bei der Hochzeit mit ihrem Nachbarn, in Action ausbricht. Und sobald sich der Film auf diese Genre-Elemente besinnt, gewinnt der Film wieder mächtig an Fahrt und beendet sofort jegliche Konventionalitäten.

Es ist eine Krux. Hätte sich Jung Byung-gil gegen diesen Liebesklamauk und die damit verbundene Hintergrundgeschichte entschieden, wäre The Villainess sehr geholfen. Doch hier verliert er völlig den Faden und noch dazu schwächt er seine bis dahin hervorragende Hauptfigur, indem er ihre Stärke und Emanzipation völlig zertritt. Selten sieht man einen Film mit solch einem Potential für eine Frauenfigur außerhalb gängiger Klischees und Tropen, der dann eine so unglaubliche Kehrtwende macht und seine Figur auf brachiale Art verrät. Aber um Verrat geht es ja als Grundthema in diesem Film, vielleicht zeugt es also von besonderer Konsequenz, dass das Werk sein selbst geschaffenes Kind – und die ZuschauerInnen gleich mit – verrät?

Es ist der letzte Akt, der den Film letztendlich rettet. Hier wird sie wieder zur Figur am Anfang, wenn auch mit Abstrichen. Hier wird auch der Film wieder innovatives, ästhetisch brillantes Genrekino, dessen Actionszenen den Puls nach oben rasen lassen. Was bleibt, ist ein höchst unausgewogener Film, der aber versehentlich den Unterschied zwischen Actionfilm und Romantic Comedy so glasklar macht wie kaum ein anderer. In beiden ist Sook-hee bestimmt, erschaffen und definiert von Männern, die aus ihr machen, was sie wollen. Doch während die romantischen Teile sie völlig außer Kraft setzen, so sind es die Actionmomente, die sie ihre eigene Geschichte und die Limitationen ihrer Figur transzendieren lassen. Und dank des Point-of-View-Shots sogar direkt mit dem Publikum verbinden – in einem raren Moment, der nicht vom männlichen Blick auf sie bestimmt ist, sondern ihren eigenen einnimmt.

So bleibt The Villainess ein Film, der viel Verlangen weckt. Nach mehr Action, die so fabelhaft kinetisch gedreht wird, und nach Frauenfiguren, die endlich von den langweiligen Einschränkungen frei sein können, die die Macher ihnen auferlegen. Mehr Freiheit. Für Kameras und Figuren, bitte.

The Villainess (2017)

Neben all dem Arthouse-Kino zeigt das Filmfestival Cannes jedes Jahr eine kleine Handvoll Genrefilme, die hier in Mitternachtsvorstellungen zu sehen sind. Diese Termine sind seit Jahren fest in der Hand des koreanischen und japanischen Kinos, die konstant das Genrekino weiterentwickeln und dessen Form weitertreiben. Jung Byung-gils The Villainess (Ak-Nyeo) führt diese Tradition fort und liefert einen Actionfilm, der einen neuen Standard für das Genre setzt. Zumindest visuell.

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Meinungen

Enrico · 24.08.2022

So ein Schwachsinn nach 10min keinen Durchblick mehr.
Völlig übertrieben und dumm. Von 1 bis 10 eine - 100