Rakete Perelman

Eine Filmkritik von Harald Mühlbeyer

Kunst und Kommune

Das Brandenburgische: Unendliche Weiten. Dies sind die Abenteuer der Rakete Perelman, die viele Lichtjahre vom Bürgerlichen entfernt unterwegs ist, um neue Ausdrucksformen des Kreativen und des Individuellen zu entdecken … Eine Künstlerkolonie im Nirgendwo, wo sich die Aussteiger sammeln und versuchen, gemeinsam etwas auf die Beine zu stellen, das größer ist als sie selbst: Oliver Alaluukas entwickelt in Rakete Perelman das Kommunenleben bis zum Kulminationspunkt, an dem die Rakete ins Trudeln kommt.
Liv Lisa Fries spielt Jen, die neu dazukommt, nachdem sie im wörtlichen Sinn alle Brücken hinter sich abgebrannt hat. Sie ist Modedesignerin, die gefangen war in der Alltagsroutine des Business, und warum sie in diese Künstler-Community gekommen ist, das sieht man in einer Alptraumsequenz, noch schöner und phantasievoller aber auf einem Drogentrip, den wir mit ihr erleben. Hier kennt sie Kai, den DJ und Drogenbeauftragten des Perelman-Projektes, sie lernt Tobias kennen, Erster unter Gleichen und Theatermann, eine Spanierin ist Tänzerin, ein Pärchen mit Tochter machen Figurentheater, einer filmt das Ganze mit 8mm-Kamera: Jeder kann sich hier ausdrücken, wie er will, und alle zusammen können die Kunst auf einen neuen Level heben. So ist der Plan.

Hedda Gabler von Ibsen wird geprobt: Die Gagen für den Auftritt beim Dorffest helfen zumindest ein bisschen, die Kommune über Wasser zu halten. Geplatzte Lebensträume, das geht alle was an, meint Tobias, und besetzt gleich Jen, die Neue, die Kostümbildnerin, in der Hauptrolle. Dass in die Proben mehr und mehr das wirkliche Leben hineinragt, weil sich Kunst und Leben spiegeln – das kann die Kreativen in der Rakete eigentlich nicht überraschen. Und es ist dies auch nicht der einzige Punkt, an dem die Welle zu brechen droht. Beziehungen und Befindlichkeiten, Egoismen und Ideale stehen sich im Weg; über allem die Geldfrage, weil die Behörden einen Umnutzungsantrag verlangen, der Prüfstatiker kostet nach Quadratmetern … Und dann ist da der ständige internalisierte Zwang zum Unkonventionellen, zum Individuellen, nur dass die Individuen eben dann doch manchmal zu individuell sind, um sich zusammenzuraufen.

Oliver Alaluukas zeichnet in wunderschönen, breiten Cinemascope-Bildern die Entwicklung der Rakete Perelman aus der Sicht des Neuankömmlings nach. Das ist psychologisch nicht so intensiv wie Marie Kreutzers Die Vaterlosen, das ist filmisch nicht so radikal wie Lars von Triers Idioten – Alaluukas erzählt konventionell, aber klug von den kleinen Spannungen, die zu großen Verwerfungen führen können. Ganz beiläufig und ohne großes Tamtam ergeben sich Wendepunkte, neue Perspektiven, Überraschungen, die von den Figuren ausgehen. Figuren, denen Alaluukas allen ihren Raum gibt, sich zu entfalten, die er uns nahebringt – und die dann doch im entscheidenden Moment unerwartet agieren.

Wenn sich abends alle zum Zähneputzen treffen; wenn sich im Moor die Kunst im Schrei ausdrückt; oder wenn Tobias mit dem Herrn Rathausbeamten – Lars Rudolph als Mischung aus verknöchertem Beamten und kunstsinnigem Bürger – das Prinzip eines kugelförmigen Universums erläutert, das – laut dem russischen Mathematiker Grigori Perelman – sich auf einen einzelnen Punkt reduzieren lässt (oder so ähnlich): Dann spielt sich vor unseren Augen die Verbindung von Erzählkino und Kreativimpuls ab, die eine Geschichte von innerer Entwicklung und absehbarem Scheitern schildert, dabei aber die Kraft der Bilder, den Blick ins Innere und ins Dahinter, nicht vergisst.

Rakete Perelman

Das Brandenburgische: Unendliche Weiten. Dies sind die Abenteuer der Rakete Perelman, die viele Lichtjahre vom Bürgerlichen entfernt unterwegs ist, um neue Ausdrucksformen des Kreativen und des Individuellen zu entdecken … Eine Künstlerkolonie im Nirgendwo, wo sich die Aussteiger sammeln und versuchen, gemeinsam etwas auf die Beine zu stellen, das größer ist als sie selbst: Oliver Alaluukas entwickelt in „Rakete Perelman“ das Kommunenleben bis zum Kulminationspunkt, an dem die Rakete ins Trudeln kommt.
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