My Son, My Son, What Have Ye Done

Eine Filmkritik von Peter Gutting

Eine Reise ins Innere des Wahns

Werner Herzog ist ins Genrekino abgewandert — könnte man meinen, nachdem der Mitbegründer des neuen deutschen Films mit Bad Lieutnant (2008) einen Polizeifilm abgeliefert hatte. Und sich mit seinem neuesten Werk abermals einer Kriminalgeschichte zuwendet. Doch der Schein trügt. Im Rahmen des packenden Geiseldramas erzählt Herzog von einem Menschen am Rande des Wahnsinns.
Die von wahren Gegebenheiten inspirierte Geschichte würde sich hervorragend als Aufmacher einer Boulevardzeitung eignen: Sohn ersticht Mutter mit einem Schwert. Aber der Film stellt nicht das Spektakel in den Mittelpunkt. Er fragt, wie es zu dieser Tat kam. Der äußere Rahmen ist die Belagerung des Hauses, in dem sich Muttermörder Brad (Michael Shannon) verschanzt hat. Aber der innere Rahmen erzählt in Rückblenden von der merkwürdigen Persönlichkeitsveränderung, die der Mann mit der übermäßigen und dadurch schädlichen Mutterbindung in den letzten beiden Jahren erlitten hat. Und der visuelle Rahmen schildert in surrealen Farben und suggestiven Kamerabewegungen eine Reise ins Innere des Wahns, in dem Brad Zuflucht sucht.

Keine Frage: Dieser Muttermörder ist ein naher Verwandter von all den Außenseitern, die uns Werner Herzog in früheren Filmen nahegebracht hat – nur dass er dieses Mal die Erkundung des seelischen Ausnahmezustandes in einen Genrefilm verpackt. Brad ist getrieben wie Aguirre, fanatisch wie Fitzcarraldo, geknechtet wie Woyzeck. Michael Shannon hat natürlich nicht denselben irren Blick wie Herzogs früherer Hauptdarsteller Klaus Kinski, aber er kommt ihm auf seine eigene Art sehr nahe.

Warum aber die Schreckenstat? My son, my son, what have ye done? lässt den Zuschauer mit dieser Frage nicht völlig allein, bietet allerdings keine definitive Erklärung an. Es gibt die psychologische Ebene, auf der Brad zwischen seiner Freundin Ingrid (Chloe Sevigny) und der herrlich bizarren Mutter (Grace Zabriskie) hin und hergerissen wird, die ihren Sohn nicht hergeben will. Und es gibt die spirituelle Ebene, auf der eine innere Stimme den Protagonisten warnt, nicht einer waghalsigen Wildwasserfahrt teilzunehmen. Wie sich herausstellt, bewahrt diese Intuition Brad vor dem Tod. Das bringt ihn dazu, von nun an der Stimme zu folgen, die ihm zunehmend unvernünftigere Dinge einflüstert.

Aber es sind ganz offensichtlich nicht diese Erklärungsansätze, die Herzog an dem Stoff fasziniert haben. Es sind vielmehr die Grenzbereiche menschlicher Erfahrung, die ihn für den Protagonisten einnehmen. Und ihn dazu führen, mit ebenso souveränen wie kreativen visuellen Mitteln in eine extreme Innenwelt einzutauchen. Herzog nimmt dabei keine moralische Haltung ein, sondern erinnert uns daran, dass sich die Menschen schon seit Jahrtausenden solche Gräuelgeschichten erzählen. Nicht von ungefähr macht Brad bei einem Laientheater mit, wo er den Orestes spielt. Der griechische Sagenheld tötet ebenfalls seine Mutter mit dem Schwert und wird dafür von den Rachegöttinnen mit dem Wahnsinn bestraft.

Gleich der Vorspann weist darauf hin, dass der Film von David Lynch produziert wurde. Das ist sicher ein geschickter Marketingschachzug, vor allem im Hinblick auf den amerikanischen Markt. Aber Herzogs Film hat es gar nicht nötig, auf einen Übervater zu verweisen, um seinen zupackenden Stilwillen ans Publikum zu bringen. Hier geht es nicht um das faszinierende Universum eines David Lynch. Hier geht es um die nicht minder faszinierende, aber ganz eigenständige Welt des Werner Herzog.

My Son, My Son, What Have Ye Done

Werner Herzog ist ins Genrekino abgewandert — könnte man meinen, nachdem der Mitbegründer des neuen deutschen Films mit „Bad Lieutnant“ (2008) einen Polizeifilm abgeliefert hatte. Und sich mit seinem neuesten Werk abermals einer Kriminalgeschichte zuwendet. Doch der Schein trügt.
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Meinungen

Malone · 10.01.2011

So eine Thematik hat es auch schon in unterhaltsam gegeben. Der Film ist völlig überflüssig.