Lost River

Eine Filmkritik von Festivalkritik Cannes 2014 von Joachim Kurz

Irrelevanz im Gegenlicht / Ein düsteres Zitateraten

Am Ende von Ryan Goslings Regiedebüt Lost River, das in Cannes für einigen Unmut bei Journalisten gesorgt hatte, könnte man sich durchaus fragen, ob der Film bereits begonnen hat oder ob man lediglich einen Trailer zu Gesicht bekommen hat. Das liegt daran, dass es nichts gibt, was die stilisierten Bilder und Töne des Films zusammenhält, obwohl jede Sekunde des Films darauf aus ist, Eindruck zu machen und sich als möglichst cool zu verkaufen. Solchen Vorwürfen sieht sich auch Nicolas Winding Refn, mit dem Gosling inzwischen zwei Filme drehte, gegenüber, beim Dänen jedoch liegt oft die Substanz im Stil verborgen, während bei Gosling nur der Stil existiert. Die Kritik am Film scheint also durchaus berechtigt, auch wenn man sich immer wieder hinterfragen muss, ob nicht die Tatsache, dass ein solch umjubelter Star wie Gosling einen Film dreht, bei vielen Kritikern bereits genügt, um den Film zu hassen.
Was ist nun der Gosling-Faktor in dieser endzeitlichen Welt? Es geht um allerhand. Der Film spielt in einem magisch pinken Hipster-Detroit, indem SciFi-Elemente wild mit Fantasy- und Sozialthematiken gemischt werden, um eine Art David Lynch-Welt zu erschaffen, die von Abhängigkeiten, Sehnsüchten und einem Überlebenskampf erzählt. Die Nähe von Gosling zu diesem hippen und emotionalen Gothic wurde bereits in seinem Musikprojekt „Dead Man’s Bones“ offenbar und auch in seinem Regiedebüt interessiert er sich für Dinge, die verschwinden, die sich unter der Erde bewegen, die immer weiter durch unsere Erinnerung kriechen und eine Art kindlich-erotischen Schauder erzeugen. Ein Schauder, der in Lost River nicht entstehen kann, denn dazu ist der Film ganz im Gegensatz zur Musik zu laut, zu wenig sinnlich.

Billy (Christina Hendricks), eine alleinerziehende Mutter, muss ihre Existenz in dem geisterhaften Lost River verteidigen. Der Ort stirbt nach und nach, das Haus ihrer Familie ist vom Abriss bedroht (man sieht einiges an Baggern, Schutt und Flammen im Film) und sie braucht dringend Geld, weshalb sie sich in dubiose Machenschaften mit dem diabolischen Bankmanager Dave (Ben Mendelsohn) einlässt und für diesen in einem Nachtclub, dem klaren Highlight des Films arbeitet, indem die Lust an Gewalt und die Gewalt der Lust als ein futuristischer Albtraum zwischen dem Silencio-Club in Mullholland Drive, den echten Zaubertricks in The Prestige und dem Diner in From Dusk Till Dawn inszeniert wird. Gleichzeitig untersucht ihr älterer Sohn Bones (Iain De Caestecker) die mysteriöse Umgebung und zieht daher den Unmut eines selbsternannten Herrschers über den verlassenen Ort auf sich, wodurch auch seine verträumte Freundin Rat (Saiorse Ronan) in Gefahr gerät. Oh weh, was für ein Chaos sich da anbahnt und tatsächlich wirkt der Film oft so, wie ein Debütfilm halt wirkt, als hätte der Filmemacher sehr viele Ideen gleichzeitig und keine Mittel sie zu kanalisieren.

Hinzu kommt, dass Gosling natürlich kein Nobody ist und daher einiges an Spielzeug zur Verfügung hatte. Tatsächlich bewegt sich der Film technisch auf einem ordentlichen Niveau. Die Bilder (für sich alleine) und die häufig eingesetzte Musik (die man sich auch isoliert vom Film durchaus gerne anhört) erzeugen einen gewissen Sog, der an Musikvideos erinnert und zu keiner Zeit ein in sich stimmiges oder bewusst unstimmiges Ganzes erzeugt. Es ist auch verdammt schwer auf ein brennendes Haus zu verzichten, wenn man es sich leisten kann, oder? Der Surrealismus im Film ist völlig einfallslos. Zum einen hat man das Gefühl, dass man einem Regisseur zusieht, der verzweifelt versucht, Bildikonen von anderen Regisseuren wie Gaspar Noé, Alejandro Jodorowsky oder dem bereits genannten David Lynch zu kopieren, zum anderen – und das wiegt deutlich schlimmer – sollte Surrealismus im Film immer etwas sein, was in oder mit der Kamera passiert und nicht lediglich daraus bestehen, dass man irgendwelche verrückten, merkwürdigen oder krassen Dinge vor die Kamera setzt.

Die Arbeit mit der Kamera selbst zeigt dagegen, was der tolle Emmanuel Lubezki, insbesondere durch seine Arbeit mit Terrence Malick in der Filmwelt anrichtet, wenn sein Stil oberflächlich kopiert wird. Denn in Lost River scheint es genau ein Credo für das Framing zu geben: Gegenlicht. Wow, das ist also Filmemachen. Und immer wenn eine Einstellung trotz Gegenlicht nicht sensationell genug aussieht, dann wechselt man auf ein weitwinkligeres Objektiv. Hinzu kommt eine fast perfide Betonung des Augenlichts, sodass die Pupillen der Darsteller nie schwarz sind, sondern oft weiß.

Bei aller ernstgemeinten Kritik sei jedoch bemerkt, dass Gosling hier keinen peinlichen Film gemacht hat, in gewisser Weise ist Lost River sogar ehrlich. Statt zu versuchen eine tiefe psychologische, philosophische oder gar filmische Geschichte zu erzählen, hat Gosling einfach ein paar coole Bilder gemacht und mit einigen Motiven gespielt, die ihn scheinbar interessieren. Das ist absolut legitim. Dennoch ist es irrelevant und schwach.

(Patrick Holzapfel)
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Das wiederkehrende Bild eines brennenden Hauses in dunkler Nacht, dessen hölzerne Struktur von den Flammen förmlich aufgefressen wird, ein makabres Kabarett, bei dem sich schöne Frauen den sensationsgierigen Blicken vermögender Männer aussetzen und mit sich obszön-bizarre Dinge machen lassen (oder zumindest den Anschein dessen erwecken), eine versinkende Stadt (unzweifelhaft ist hiermit Detroit gemeint, auch wenn sich das Geschehen in einem Ort namens Lost River abspielt), dazu ein Fluch, der über den Anwohnern schwebt wie ein Damoklesschwert. Ryan Goslings Regiedebüt Lost River wirkt nicht nur auf den ersten Blick wie ein Filmpuzzle, ein Quiz, bei dem Versatzstücke aus anderen, bekannteren Werken miteinander kombiniert werden. Das Endergebnis dieses Zitatereigens ist zwar visuell teilweise betörend, lässt aber jegliche Originalität und leider auch eine packende Geschichte vollkommen vermissen.

Die bildet nur anfangs eine merkwürdige Parallele zum heute gelaufenen Wettbewerbsbeitrag der Brüder Dardenne: Auch bei Gosling geht es um eine Frau, die in finanziellen Schwierigkeiten steckt. Aber natürlich ist der Weg, den sie beschreitet, ein vollkommen anderer als die realistischen Pfade, auf denen die belgischen Filmemacher wandeln. Er führt geradewegs hinein in ein Herz der Finsternis, das ebenso gut Twin Peaks statt Lost River heißen könnte. Auf Anraten des perversen Bankers Dave (Ben Mendolsohn) verdingt sich Billy (Christina Hendricks) in einem Club der etwas anderen Art, während ihr Sohn Bones (Ian De Caestecker, der in fataler Weise an den sehr jungen Ryan Gosling himself erinnert) sich mit der kriminellen Lokalgröße Bully (Matt Smith) herumschlagen muss. Dann begegnet Bones der Außenseiterin Rat (Saoirse Ronan), die ihm von einem Fluch erzählt, der über der Stadt liegt, seit andere Ortschaften für einen künstlichen See versenkt wurden. Und schnell zeigt sich, dass nur Bones diesen Fluch des Bösen von der Stadt nehmen kann.

Ryan Goslings Regiedebüt konkurrierte in der Reihe „Un Certain Regard“ um die Camera d’Or für den besten Erstlingsfilm. Betrachtet man den Lost River allein nach der Fähigkeit seines Schöpfers, Bilder zu erschaffen, die sich dem Zuschauer einbrennen, dann hätte sich Gosling durchaus Hoffnungen auf die Trophäe machen können. Das Problem ist dabei nur: Fast keines der Bilder ist ein Original, sondern verweist auf einen anderen, einen großen Meister des Kinos. Vor allem David Lynch und — natürlich — Nicolas Winding Refn werden ausgiebigst zitiert. Hinzu kommen Anleihen bei Dario Argento, Leos Carax, Motive des „Southern Gothic“ und des Theatre Guignol. Das ist zugegebenermaßen eine verführerische Mischung, die bei bestimmten Fanboys aus dem derzeit revitalisierten Genrebereich so ziemlich alle Alarmknöpfe drückt, und so das Zielpublikum aufhorchen lassen könnten. Es drängt sich fast der Verdacht auf, dass Gosling bei seinem Regiedebüt bei aller scheinbarer Radikalität vor allem auf Nummer Sicher gegangen ist, indem er sich bei Elementen und Einflüssen bediente, von denen er zum einen weiß, dass sie ihm selbst nahe sind und dass sie zweitens auch jenen gefallen dürften, die beispielsweise die Filme Refns schätzen.

Wenn man so will, ist Lost River eher ein gigantisches Showreel der inszenatorischen Fähigkeiten Goslings als ein stimmiger und überzeugender Film. Sollte es dem Schauspieler irgendwann gelingen, sich auf Basis dieses Fundus von Bildern und Ideen weiterzuentwickeln, könnte es tatsächlich etwas werden mit der Karriere als Regisseur. Bleibt er allerdings in diesem Einflussbereich stecken, dann wird es wohl allenfalls zu Filmen reichen, die wenig Beachtung finden werden. Denn Epigonen, Kopisten und Möchtegerne gibt es wahrlich schon genug. Und nicht jedes Rezept gelingt am Ende, nur weil die einzelnen Zutaten stimmen.

(Festivalkritik Cannes 2014 von Joachim Kurz)

Lost River

Am Ende von Ryan Goslings Regiedebüt „Lost River“, das in Cannes für einigen Unmut bei Journalisten gesorgt hatte, könnte man sich durchaus fragen, ob der Film bereits begonnen hat oder ob man lediglich einen Trailer zu Gesicht bekommen hat. Das liegt daran, dass es nichts gibt, was die stilisierten Bilder und Töne des Films zusammenhält, obwohl jede Sekunde des Films darauf aus ist, Eindruck zu machen und sich als möglichst cool zu verkaufen.
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Meinungen

wignanek-hp · 29.06.2016

Ein Schauspieler, noch dazu ein richtig guter macht einen Film. Das kann ja erst mal nix werden. Den Eindruck hat man leider bei beiden Kritiken. Lässt man mal den ganzen Überbau schon gesehener Meisterwerke von hier gefühlt zitiert 20 Regisseuren weg, kann man dem Film wirklich nicht nachsagen, dass er diese harsche Kritik irgendwie verdient hat. Die Bilder entwickeln durchaus Sog-Wirkung, der Soundtrack tut sein Übriges, die Geschichte, die erzählt wird, ist eindrücklich. Sorry, aber das ist mehr, als das, was man von üblicher Kinokost sonst so geboten bekommt. Warum also diese Verrisse? Zugegeben, der Film bewegt sich in einer Grauzone. Vielleicht ist ihm das zum Verhängnis geworden. Der übliche Kinogänger wird nichts damit anfangen können, zu verquast. Dann eben die Profis. Und denen ist das dann alles nicht genug. Eigentlich schade, dass man mit solchen Kritiken die Zuschauer eher abschreckt, als sie zu ermutigen, ins Kino zu gehen.