Jacques - Entdecker der Ozeane (2016)

Eine Filmkritik von Andreas Köhnemann

Atemlose Erzählung

Das Biopic „Jacques — Entdecker der Ozeane“ widmet sich dem französischen Meereskundler und Filmemacher Jacques-Yves Cousteau (1910-1997). Regisseur Jérôme Salle (Zulu) schrieb das Skript gemeinsam mit Laurent Turner auf Basis der Bücher von Jean-Michel Cousteau (des ersten Sohnes von Jacques-Yves) und Albert Falco (eines Team-Mitglieds des Forschungsschiffes Calypso).

Nach einem kurzen Vorgriff auf das Jahr 1979 beginnt Salles Werk Ende der 1940er Jahre. Diverse Pioniertaten – etwa die Weiterentwicklung eines Atemgeräts zur sogenannten Aqualunge – liegen schon hinter Jacques-Yves Cousteau (Lambert Wilson) und werden lediglich erwähnt. Mit seinen Kollegen Philippe Tailliez (Laurent Lucas) und Frédéric Dumas (Olivier Galfione) sowie seiner unterstützenden Gattin Simone (Audrey Tautou) konnte er bereits Unterwasserfilme realisieren, die sich als Erfolge erwiesen.

Dass sich Jacques — Entdecker der Ozeane nicht mit dem mühsamen Aufstieg seines Protagonisten befasst, sondern direkt auf die Dekadenz zusteuert, ist eine durchaus reizvolle Idee. In der Umsetzung ergeben sich daraus allerdings insbesondere zwei Probleme. Zum einen fällt es schwer, einen Zugang zu dieser fröhlichen Figurengruppe mit spärlich geschilderter Vorgeschichte zu finden. Dies zeigt sich zum Beispiel in einer anfänglichen Szene, in welcher Jacques-Yves‘ jüngerer Sohn Philippe seinen Vater zu einer Stelle an dessen Körper befragt: Eine alte Narbe sei das, meint Jacques-Yves – sie sei durch einen schweren Autounfall entstanden, den er durch Unachtsamkeit verursacht habe, als er frisch in Simone verliebt gewesen sei, und der dazu geführt habe, seinen ursprünglichen Plan einer Pilotenkarriere aufgeben zu müssen. Da wir als Zuschauer_innen nur diese erklärenden Worte und die (äußere) Narbe präsentiert bekommen, aber nichts über die möglichen seelischen Spuren erfahren, die dieser Vorfall sowie die damit verbundene Konsequenz hinterlassen haben könnten, und überdies die angeblich für alles verantwortliche Liebe zwischen dem Ehepaar kaum Raum erhält, ist diese Passage letztlich nicht mehr als eine bebilderte und vertonte Mini-Information über Jacques-Yves Cousteaus Werdegang.

Zum anderen lässt der Film wenig Interesse daran erkennen, sich eingehend mit dem jeweiligen Zustand zu beschäftigen, in welchem sich die Figuren gerade befinden. Jacques — Entdecker der Ozeane eilt von einer Station zur nächsten. Dieses dramaturgische Vorgehen gleicht – ob gewollt oder nicht – der Rastlosigkeit von Jacques-Yves, dem nie allzu viel an dem zu liegen scheint, was war und was ist, sondern stets nur an dem, was als Nächstes passieren wird. Wenn der erwachsen gewordene Philippe (Pierre Niney) nach einem Zeitsprung in das Jahr 1963 erläutert, wie er eine Unterwasseraufnahme drehen möchte, vernehmen wir seine Ausführungen und sehen direkt im Anschluss das Ergebnis – nichts hingegen von der (Team-)Arbeit und dem Weg dorthin. Wenn der junge Mann später eine Frau (Chloé Hirschman) kennenlernt, wird uns das erste Gespräch zwischen den beiden ebenso vorenthalten wie die gemeinsam verbrachte Nacht – wir müssen im weiteren Verlauf einfach glauben, dass die zwei sich Hals über Kopf ineinander verliebt haben. Einige Schnitte später schreibt Philippe schon glühende Briefe an seine Herzensdame – was Simone aus Gründen, die zu keinem Zeitpunkt näher beleuchtet werden, offenbar stört. Auch in der Schilderung der Ehe zwischen Jacques-Yves und Simone liegen zwischen Glück und Unglück, Partystimmung und Frustration nur wenige Bilder, sodass eine Anteilnahme kaum möglich ist. Gleiches gilt für Zerwürfnisse und Versöhnungen zwischen Vater und Sohn.

Gelungen sind indes die Kameraarbeit von Matias Boucard sowie der Score von Alexandre Desplat; hier treffen große Bilder auf große Klänge. Nachdem Jacques-Yves – inzwischen mit seiner ikonischen roten Wollmütze – bereits seit vielen Jahren mit dem zum Forschungsschiff Calypso umfunktionierten Minensuchboot unterwegs ist, um Material für die Episoden seiner Fernsehserie Geheimnisse des Meeres zu sammeln, begibt sich Philippe mit Jacques-Yves‘ Mitarbeiter Albert Falco (Vincent Heneine) unter Wasser, um Haie zu filmen – was zu einer der spannungsreichsten Sequenzen des Werks führt. Ebenfalls positiv hervorzuheben ist die Tatsache, dass die Kontroversen um Jacques-Yves Cousteau nicht ausgespart werden. Der Protagonist wird nicht nur als Pionier der Meeresforschung in Szene gesetzt; es wird auch eingefangen, dass er ein Geschäftsmann war, der Deals mit Sponsoren eingehen musste und deshalb nicht immer im Interesse der Umwelt und Meeresbewohner handelte. Ein Bewusstsein hierfür entwickelte Jacques-Yves erst spät während einer Expedition zur Antarktis; 1973 gründete er die Cousteau-Gesellschaft zum Schutz der Meere. Lambert Wilson verfügt über das nötige Charisma, um den Part überzeugend zu spielen. Auch Pierre Niney hat – wie schon als Titelfigur in Jalil Lesperts Yves Saint Laurent oder in François Ozons Frantz – als Philippe eine einnehmende Präsenz, während Benjamin Lavernhe (Birnenkuchen mit Lavendel) als Philippes Bruder Jean-Michel eher im Hintergrund bleibt. Als technisch und schauspielerisch gute Arbeit ist Jacques — Entdecker der Ozeane somit sehenswert; als filmische Biografie lässt er indes zu wenig Nähe zu seinen Figuren entstehen.

Jacques - Entdecker der Ozeane (2016)

Das Biopic „Jacques — Entdecker der Ozeane“ widmet sich dem französischen Meereskundler und Filmemacher Jacques-Yves Cousteau (1910-1997). Regisseur Jérôme Salle („Zulu“) schrieb das Skript gemeinsam mit Laurent Turner auf Basis der Bücher von Jean-Michel Cousteau (des ersten Sohnes von Jacques-Yves) und Albert Falco (eines Team-Mitglieds des Forschungsschiffes „Calypso“).

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