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Die Gebrüder Grimm liegen hier Seite an Seite mit tot geborenen Kindern und an Aids verstorbenen jungen Männern. Tausendsassa Ichgola Androgyn betreibt dort das erste deutsche Friedhofscafé. Der Dokumentarfilm „Garten der Sterne“ stattet dieser sehr speziellen letzten Ruhestätte einen Besuch ab.

Garten der Sterne (2017)

Eine Filmkritik von Falk Straub

Ein kurzer Film über das Sterben

Zum Meditieren schwingt sich Bernd Boßmann jeden Sonntagmorgen auf einen Baum. Dann liegt er in dessen weitverzweigten Ästen und gibt ihnen seine Wünsche mit, die diese – da ist sich der Mittfünfziger mit einem verschmitzten Lächeln auf den Lippen sicher – in die Weiten des Alls senden. Seine „Antenne zum Universum“, wie Boßmann den Baum liebevoll nennt, steht nicht irgendwo im Verborgenen eines privaten Gartens, sondern auf einem öffentlichen Friedhof, dem Alten St.-Matthäus-Kirchhof in Berlin-Schöneberg. Auf den Bänken darunter nehmen schon einmal Kinder Platz, die von ihren Erziehern etwas über das Sterben lernen. Nicht weit entfernt liegen die Gebrüder Grimm, aus deren Fundus sich Pasquale Plastino und Stéphane Riethauser den erzählerischen roten Faden ihres Dokumentarfilms entliehen haben.

Der Gevatter Tod steht am Anfang, Mitte und Ende ihres Films. Während die Kamera an Bäumen entlangfährt und die durchs Blattwerk hindurchbrechenden Sonnenstrahlen einfängt, rezitiert Zazie de Paris das grimmsche Märchen. Der unnachahmliche französische Akzent der Schauspielerin und Sängerin verleiht der Geschichte die nötige Mischung aus Erdenschwere und Leichtigkeit, die so trefflich zum Thema und zu dessen Umsetzung passt. Im Gevatter Tod wählt ein Vater den Sensenmann als Paten für sein 13. Kind, da nur dieser, ganz im Gegensatz zu Gott oder dem Teufel, alle Menschen gleichmacht. Auf dem Alten St.-Matthäus-Kirchhof haben neben den berühmten Geschwistern auch zahlreiche Männer, die viel zu jung verstarben, und Kinder, die bereits tot auf die Welt kamen, ihre Ruhestätte gefunden. Letztere liegen im „Garten der Sternenkinder“, der dem Film seinen Namen gibt. Dank Bernd Boßmann ist das nie bedrückend, sondern beglückend.

Boßmann war schon vieles in seinem Leben. 1984 kam der ausgebildete Kranken- und Psychiatriepfleger nach Berlin und mischte unter den Pseudonymem Ichgola Androgyn, Theodor van den Boom und Kläre Grube solo oder in diversen Gruppen als Schauspieler, Kabarettist, Dragqueen und schwuler Aktivist die Szene auf. Mittlerweile arbeitet er auch als Bestatter, der die Angehörigen der „Sternenkinder“ bei ihrer Trauer begleitet. Seit 2006 betreibt er zudem das erste deutsche Friedhofscafé. Noch so eine der vielen kleinen Geschichten, die die Regisseure ganz beiläufig erzählen. Eine andere ist die vom Exitus des schwulen Lebens in den 1990er Jahren. Dann blättert Boßmann sehr lange in einem Fotoalbum, das verstorbene Weggefährten zeigt. Kaum einer davon wurde älter als 40. Sein Freund und Mitstreiter Christoph Josten alias Ovo Maltine zählt dazu und liegt im Gemeinschaftsgrab, das sich Boßmann mit seinen Künstlerkollegen gekauft hat.

Pasquale Plastino und Stéphane Riethauser haben Garten der Sterne bewusst um Bernd Boßmann und seinen Arbeitsplatz herumgebaut. Und ihr kleiner, kurzer Film über den (Umgang mit dem) Tod lebt voll und ganz von seinem Lebenskünstler. Außer ihm kommt keiner zu Wort, Archivmaterial beschwört alte Tage herauf. Dann sind Boßmann & Co. bei Rosa von Praunheim und Michael Brynntrup zu sehen, für die sie vor der Kamera standen. Wenn Boßmann für eine neue Sepulkralkultur plädiert, die Friedhöfe als lebendige Orte begreift, auf denen Kinderlachen andächtige Stille ersetzt, kann man ihm nur beipflichten. Den Tod selbst hält das Multitalent im Übrigen für etwas ganz Tolles. Garten der Sterne gewährt nicht weniger als einen kurzen Einblick in dieses „Silvester unseres Lebens“, wie Boßmann das Sterben nennt, aber auch nicht mehr.
 

Garten der Sterne (2017)

Zum Meditieren schwingt sich Bernd Boßmann jeden Sonntagmorgen auf einen Baum. Dann liegt er in dessen weitverzweigten Ästen und gibt ihnen seine Wünsche mit, die diese – da ist sich der Mittfünfziger mit einem verschmitzten Lächeln auf den Lippen sicher – in die Weiten des Alls senden.

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