Wie der Wind sich hebt (2013)

Eine Filmkritik von Lida Bach

Der Traum vom Fliegen

„When sunlight rests upon a profound sea, / Time’s air is sparkling, dream is certainty“ heißt es in Paul Valerys Gedicht Graveyard by the Sea, das Hayao Miyazakis lyrischem Animationsdrama seinen Namen gab. Es ist das zugleich pragmatische und unbeugsame „Wie der Wind sich hebt… Wir müssen versuchen zu leben!“ der letzten Strophe, welches den zentralen Konflikt der wunderbar gezeichneten Filmbiografie in sich trägt: Auf der einen Seite das Streben des Individuums nach Selbstverwirklichung, auf der anderen seine Machtlosigkeit angesichts des Laufs von Geschichte und Natur.

Wenn auf den von Sehnsucht und schmerzlicher Reminiszenz umwölkten Bildern, deren Plastizität Dioramen gleichkommt, das Sonnenlicht auf dem unergründlichen Himmelsmeer verweilt und ein lichter Augenblick erstrahlt, ist Traum Gewissheit. Gerade so wie Paul Valery es schreibt. In der berührenden Historienstunde, die sich mehr an Jugendliche und Erwachsene denn Kinder wendet, ist es der Traum von Flugzeugen als grandiosen Wolkenakrobaten. In den ersten Minuten des kunstvollen Mäanders aus Realität und Phantasie trägt ein solcher Traum den Hauptcharakter und mit ihm den Zuschauer in die wahre Geschichte im Japan des Jahres 1918. Der japanische Junge, wie ihn in einem anderen lebhaften Traum der italienische Luftfahrtpionier Caproni (Nomura Mansai) ruft, ist Jiro Horikoshi (Hideaki Anno). Aus dem kurzsichtigen Schüler, dem unscheinbare Alltagsdinge und -situationen Erkenntnisse zur Aerodynamik verraten, wird der führende Flugzeugkonstrukteur des Werks, das später Mitsubishi Heavy Industries wird. „Flugzeuge sind ein schöner Traum. Ingenieure geben diesem Traum eine Form“, sinniert Caproni. Er teilt im buchstäblichen Sinn mit Jiro einen Traum, dessen Schattenseite ein Alpdruck ist: von Luftmaschinen als stählernen Kampfkolossen, die Bomben in Gestalt dämonischer, glutäugiger Schemen tragen.

Die Wunsch- und die Angstvision sind unabwendbare Fakten aus Sicht des Zuschauers, der um die historische Prophetie der Bilder weiß. Umso übermächtiger wirken sie auf Jiros jungen Geist, dem sie entspringen. Der stets gedankenvolle Visionär will der Last des irdischen Daseins entfliehen.

Als hätten wie in Miyazakis Porco Rosso die Gesetze von Zeit und Vergänglichkeit über den Wolken keine Macht. Momente der Unbeschwertheit sind flüchtig in jener unsicheren Ära zwischen zwei Weltkriegen, wo der Schrecken des Großen Kanto-Erdbebens von 1925 auf das Grauen der Atombombe verweist, und Jiros junge Frau Naoko (Miori Takimoto) an Tuberkulose sterben muss. „Das Leben ist schön, nicht wahr?“, lacht sie einmal und Jiro kann nur zustimmen. Das Leben ist schön – für einen Augenblick, in dem man einen davonflatternden Hut fängt, nach einem Regenschauer einen Regenbogen erblickt oder zu Klaviermusik mit einer Gestalt, die der Regisseur aus Thomas Manns Zauberberg herbeizitiert, einen Schlager singt: „Das gibt’s nur einmal, das kommt nie wieder. Das ist vielleicht nur Träumerei.“ Möglich ist es auf Jiros eigenem Zauberberg im Kurhotel, wo er während seiner Weltreise Naoko wiedersieht und die beiden ein Paar werden.

Der unausweichliche Abstieg führt auf den Boden der Tatsachen. „Männer sollten ihre Arbeit tun“, sagt Naokos Vater einmal. Wie der Wind sich hebt verweist damit auf den Zwiespalt von Pflichtgefühl, persönlicher und politischer Überzeugung, Wunsch und Wirklichkeit, das den tragischen Hauptcharakter plagt. Er macht seine Arbeit und baut die gefürchtete A6M Zero. Das Gewicht der Waffen verhindert, dass seine Maschinen ihre volle Wendigkeit und Schnelligkeit entfalten: eine schlichte und treffende Metapher für den aggressiven Ballast, der den menschlichen Geist zu Boden drückt. „Ein Flugzeug ist ein schöner Traum. Ein schlimmer Traum“, sagt Caproni. Und jeder Ehrgeiz ist zweischneidig. Der wunderschöne Traum zerstiebt in einem Windhauch, der einen persönlichen Verlust zum Omen allumfassenden Verlustes macht. Der Wind geht über das Blatt in der Weltgeschichte achtlos hinweg. Nur der Zauber der Filmerzählung bleibt und ein Hauch stiller Melancholie.
 

Wie der Wind sich hebt (2013)

„When sunlight rests upon a profound sea, / Time’s air is sparkling, dream is certainty“ heißt es in Paul Valerys Gedicht „Graveyard by the Sea“, das Hayao Miyazakis lyrischem Animationsdrama seinen Namen gab. Es ist das zugleich pragmatische und unbeugsame „Wie der Wind sich hebt… Wir müssen versuchen zu leben!“ der letzten Strophe, welches den zentralen Konflikt der wunderbar gezeichneten Filmbiografie in sich trägt:

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Meinungen

Opaline · 12.04.2014

wunderschöner Film.... In Paris gesehen. Ein Meisterwerk, gutes Erzähltempo, ausgezeichnete Geschichte, die die kleine mit der großen Geschichte verbindet und uns den japanischen Blickwinkel nahebringt. Die Bilder sind -wie immer bei Miyazaki- kleine Kunstwerke. Wann endlich in den deutschen Kinos?