The Green Prince

Eine Filmkritik von Stephan Langer

Die Einsamkeit des Aufrichtigen

Beim Dokumentarfilm steht immer schon die Fehde zwischen abgebildeter Wirklichkeit und daraus extrahierter Wahrheit im Zentrum theoretischer Überlegungen und ist gleichzeitig einer der Dreh- und Angelpunkte des Genres. Die Schilderung der Wirklichkeit findet dabei auf inhaltlicher Ebene statt, während die Wahrheiten aus der Kombination des Inhalts mit der formalen Struktur erschlossen werden kann. Bei The Green Prince von Nadav Shirman haben wir es mit einer Dokumentation zu tun, die auf den subjektiven Fakten des Buchs „Sohn der Hamas: Mein Leben als Terrorist“ von Hauptcharakter Mosab Hassan Yousef basiert. Yousef ist The Green Prince: unter diesem Codenamen war er als Sohn des Hamas-Führers Scheich Hassan Yousef jahrelang für den verfeindeten, israelischen Geheimdienst Shin Bet als Informant tätig und fällt damit seines Vaters Glauben in den Rücken.
Der Film setzt sich mit Fragen von Loyalität und Moral auseinander: wo hört mein eigener Wille auf, wo fängt der Wille einer religiös-ideologischen Bewegung an und inwieweit sind Individuen von kollektiven Dynamiken wie Familie und Tradition bestimmt? Welche Rolle spielt dabei der Verrat am eigenen Land beziehungsweise am eigenen Vater? The Green Prince ist aus drei Elementen zusammengesetzt: dem von Beginn an wabernden „Drone-Sound“ des Briten Max Richter, der die Bilder konspirativ unterlegt, mit konstantem Thrill ausstattet und stellenweise auch für einen bedrohlichen Score sorgt. Das Visuelle fällt auseinander in zwei Kategorien: die Basis bilden hell ausgeleuchtete, elegant gegeneinander geschnittene, sehr persönliche Interviews des Palästinensers Yousef und des israelischen Geheimdienstmitarbeiters Gonen Ben Itzhak. Die Aussagen der beiden werden oftmals untermalt von Archivaufnahmen, wenigen Bildern des jungen Yousef oder inszenierten Überwachungsaufnahmen, die aus Drohnen gefilmtes Satellitenmaterial eine den Worten der beiden schwer zuordenbare militaristische Ästhetik zuordnen. Das gegensätzliche Bildermaterial kommt auch in seiner ständigen Wiederholung über einen oberflächlichen Kontrast vom psychologisch konfliktreichen Innenleben der Protagonisten einerseits und eben jenen Menschen als anonymen Überwachungs- bzw. Militärzielen andererseits nicht hinaus. Das Verhältnis zwischen dem Informanten Yousef und Geheimdienstler Itzhak ist komplexer als das: es transformiert sich wie in einem klassischen Agentenfilm von anfänglichen Widersachern mehr und mehr zu einem über das Dienstliche hinausgehende, von gegenseitigem Vertrauen geprägten Miteinander mit Itzhak als Ersatzvaterfigur für Yousef.

Formal problematisch am dokumentarischen Thriller The Green Prince ist, dass die der Geschichte zugrunde liegenden, wahren Ereignisse an manchen Stellen dramaturgisch und formal etwas gedankenlos extrem zugespitzt werden zu einer moralistisch aufrichtigen, (metaphorisch verstandenen) Vatermord-Geschichte, anstatt sich mehr auf die facettenreiche Ausgangssituation zu fokussieren. Die Übermittlung von Informationen über den israelisch-palästinensischen Konflikt findet zwar am Rande statt, ist aber scheinbar anderen Zielsetzungen untergeordnet. Primäres Anliegen scheint das Ausschöpfen eines tragischen Potentials des Plots zu sein und nicht eine differenzierte Ausgestaltung des informativen Plots an sich. Damit bleibt The Green Prince zwischen zwei Ansätzen stecken — der Erzeugung dramatischer Wucht wie in einem Thriller, die der Film allerdings nie vollends erreicht, und einer Dokumentation, die über die subjektiven Standpunkte und Erinnerungen der beiden hinausgehend nur wenig Informationen übermittelt über eine gesellschaftliche Gesamtkonstellation privater wie politischer Konflikte.

Und trotz allem: das Schauen von The Green Prince lohnt sich. Zwar ist das Ende klar an einer geradlinigen, harmonischen Auflösung der Ereignisse interessiert: dort wird einem Hollywoodthriller gleich die aus allen Widrigkeiten heraus entstandene, treue Freundschaft zweier Männer hoch gehalten, die sich aufrichtig für humanistische Werte einsetzen. Gegenüber der komplexen Gesamtstruktur, die sich am Anfang ankündigt, lässt einen das am Ende etwas unbefriedigt zurück.

Eigentlich ist die Botschaft des Films aber eine andere. Diese ist ungemein wichtig, wenn auch traurig: The Green Prince zeigt, dass moralische Aufrichtigkeit vereinzelt. Yousef handelt nach eigenen Überzeugungen und wird darauf hin von Familie und Gesellschaft ausgeschlossen und geächtet. Wer sich mit überlegten Ansichten gegen überkommende Meinungen wendet, wird von den Betroffenen zum Sündenbock gemacht. Der Höhepunkt des Films ist auf rationaler wie emotionaler Ebene die entwaffnende Schilderung Yousefs von seinem Schicksal, nachdem er in die USA emigriert, sein Buch geschrieben und veröffentlicht hat. Er befindet sich in einem fremden Land, fühlt sich unverstanden, alleine gelassen und einsam. Spricht jemand eine unangenehme Wahrheit aus, ist kaum jemand mehr da, um sie sich anzuhören. An dieser Stelle berühren sich die beiden eingangs erwähnten Ebenen „Wirklichkeit“ und „Wahrheit“, ganz gleich in welcher dokumentarischen Form das Gesehene dargeboten ist. Über dieses Verdienst des Films lohnt es sich allemal weiter nachzudenken.

The Green Prince

Beim Dokumentarfilm steht immer schon die Fehde zwischen abgebildeter Wirklichkeit und daraus extrahierter Wahrheit im Zentrum theoretischer Überlegungen und ist gleichzeitig einer der Dreh- und Angelpunkte des Genres. Die Schilderung der Wirklichkeit findet dabei auf inhaltlicher Ebene statt, während die Wahrheiten aus der Kombination des Inhalts mit der formalen Struktur erschlossen werden kann.
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