Der blaue Engel

Eine Filmkritik von Peter Osteried

Von der Liebe zerstört…

82 Jahre sind vergangen, seit Josef von Sternberg Der blaue Engel erschuf. Sollte man meinen, nach derart langer Zeit sei ein Film hoffnungslos veraltet, so wird man hier eines Besseren belehrt. Denn das Drama um den Wert der Liebe und der Würde eines Menschen ist heute noch so aktuell wie seinerzeit – inhaltlich, aber auch von der Filmsprache her.
Professor Immanuel Rat (Emil Jannings) erfährt, dass seine Schüler den „Blauen Engel“ besuchen. Derart unzüchtiges Verhalten kann er nicht durchgehen lassen, weswegen er selbst das Etablissement aufsucht, um die Schüler in flagranti zu erwischen. Doch dabei verliebt er sich in die Sängerin Lola Lola (Marlene Dietrich), die ihm bald mehr als alles andere bedeutet. Seine Schüler nehmen das als Anlass, ihn als Professor Unrat zu verunglimpfen. Der Schuldirektor schließlich entlässt ihn. So ist der Professor gezwungen, in der Varieté-Show als Clown aufzutreten. Als könnte es nicht noch demütigender kommen, kehrt die Wander-Show Jahre später an den Ort seines Unglücks zurück…

Man denkt gerne, der moderne Mensch sei aufgeklärter, toleranter, weniger bigott, aber im Grunde ist es heute nicht anders als 1930. Wenn jemand aus der Norm fällt oder den „seriösen“ Lebensweg verlässt, dann sind Häme und Spott nicht weit. In Der blaue Engel ist es der menschlichste aller Gründe, der Professor Rat taumelnd in den Abgrund stürzen lässt: die Liebe. Emil Jannings, einer der ganz großen Stars der Stummfilmära, hatte enorme Präsenz und auch die Stimme, im Tonfilm mit seinem Charisma zu überzeugen. So nimmt man es ihm sogar ab, dass eine Frau wie Lola Lola sich für ihn interessiert – obschon er nach gängigen Maßstäben sicherlich nicht der Beau ist, den sie ansonsten bekommen könnte.

Josef von Sternbergs Film ist eine sehr genaue Betrachtung dessen, was die Liebe aus einem Menschen machen, wozu sie ihn verleiten kann. Im besten aller Szenarien ist dies das Schönste auf der Welt, aber wenn sie mit einem Preis kommt, droht ein erbärmliches Ende. Die letzten 20 Minuten mit der genüsslich ausgeweideten Demütigung des einst so stolzen Professors sind hochgradig verstörend. Weil sie uns zeigen, was der Mensch dem Menschen antun kann, wie jemand der Öffentlichkeit präsentiert und mit Hohn und Spott jeglicher Würde beraubt wird. In Zeiten von Casting-Shows, die mit ihren Kandidaten auch nicht anders verfahren, wirkt diese Sequenz noch stärker nach, denn man ist unangenehm berührt, dass sich in fast einem Jahrhundert nicht viel verändert hat.

Der blaue Engel liegt erstmals in verbesserter Bildqualität vor. DVD und Blu-ray bringen dies sehr schön zur Geltung. So gut, so sauber, so scharf war der Film vorher nie. Anders als beim Bild ließ sich beim Ton allerdings nicht viel aufhübschen. Dies ist einer der ersten Tonfilme überhaupt. Die Technik war noch nicht perfekt und das merkt man auch, da die Dialoge bisweilen schwer zu verstehen sind. Im Speziellen gilt dies für die höheren Frauenstimmen. Obwohl eine Deluxe Edition, ist die Ausstattung relativ überschaubar. Das Interview mit Marlene Dietrich ist extrem kurz, der Szenenvergleich zwischen deutscher und englischer Fassung, die sich in der Montage unterscheiden, interessant. Neben Trailern gibt es noch Dietrichs Probeaufnahme und Live-Performances der Songs aus dem Jahre 1972. Das Highlight stellt jedoch der erhellende, informative Audiokommentar von Marlene-Dietrich-Experte Werner Sudendorf dar.

Der blaue Engel

82 Jahre sind vergangen, seit Josef von Sternberg „Der blaue Engel“ erschuf. Sollte man meinen, nach derart langer Zeit sei ein Film hoffnungslos veraltet, so wird man hier eines Besseren belehrt. Denn das Drama um den Wert der Liebe und der Würde eines Menschen ist heute noch so aktuell wie seinerzeit – inhaltlich, aber auch von der Filmsprache her.
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