20 Feet from Stardom (2013)

Eine Filmkritik von Sonja Hartl

Und alle singen "yeah"

Am Anfang von Morgan Nevilles unterhaltsamer Dokumentation 20 Feet From Stardom erklingt „and the colored girls sing / doo, da-doo, da-doo, doo, doo doo doo …“ aus Lou Reeds „Walk on the Wild Side“. Diese kontroversen Zeilen verweisen bereits auf die folgenden Themen: Es wird um Backgroundsängerinnen gehen, ohne deren „doo, da-doo“ dieses Lied sicher kein Hit geworden wäre, viele von ihnen sind Afro-Amerikanerinnen – und kaum bekannt. Dadurch erzählt der Film auch ein Stück Musikgeschichte, wenngleich Morgan Neville vor allem auf den Zauber und die Kraft der Musik setzt und sich nicht weit aus der Wohlfühlzone des Zuschauers herauswagt.

Im Zentrum des Film stehen die Karrieren von Sängerinnen wie Darlene Love, Judith Hill, Merry Clayton, Lisa Fischer, Táta Vega und Jo Lawry, deren Namen – mit Ausnahme von Darlene Love, die 2011 in die Rock and Roll Home of Fame aufgenommen wurde – nur wenigen ein Begriff sein wird. Ihre Karrieren verliefen ähnlich: Sie arbeiteten an einigen Liedern mit, wagten den Schritt in die Solokarriere und scheiterten aufgrund der Bedingungen der Zeit, fehlendem Glück oder schlechten Verträgen. Beispielsweise arbeitete Darlene Love in den 1960ern bei Phil Spector, der ihre Mitarbeit bei zahlreichen Hits nicht benannte – teilweise lieferte sie sogar die Lead-Stimme, aber niemand kannte ihren Namen. Sie versuchte sich mehrfach von ihm zu lösen, doch letztlich führte eine Auseinandersetzung mit ihm zu einem kurzzeitigen Ende ihrer Karriere. Sie arbeitete als Putzfrau, bevor sie einen erneuten Anlauf in der Musikwelt unternahm.

Morgan Neville forscht den Gründen für das Scheitern der Solokarrieren nur in Ansätzen nach, sondern verweist meist auf die Mischung aus Glück, Vorurteilen und Ambitionen, die dazu nötig sind. Doch allein durch die interviewten Solokünstler Bruce Springsteen, Sting oder Mick Jagger wird bereits deutlich, dass es in diesen Jahren für weiße Männer wesentlich einfacher war, eine Karriere zu starten – und vermutlich auch heute noch ist. Hier hakt Neville jedoch nicht weiter nach, sondern belässt es bei Selbstaussagen der Sängerinnen, dass sie nicht alle eine Solokarriere wollten. Angesichts der vielen Castingshows im Fernsehen ist es sicher schön zu hören, dass manche Musik um ihrer selbst willen machen und nicht, um berühmt zu werden, allerdings bleibt dann die Frage, warum es fast alle der hier näher vorgestellten Sängerinnen dennoch versucht haben.

In Ansätzen reflektiert 20 Feet from Stardom aber auch die Geschichte der Musikindustrie, ihrer Mechanismen und Strömungen. So war es gerade die britische Rockmusik mit den Rolling Stones und Joe Cocker, die die schwarzen Backgroundsängerinnen ermutigte, mehr sie selbst zu sein. Und es sind der Kostendruck sowie die Digitalisierung der Branche, die die ohnehin rar gesäten Jobs der Backgroundsänger weiter vernichten. Heute stimmen sich die Sänger nicht mehr ein, sondern das meiste wird abgemischt oder gleich digital produziert. Jedoch geht der Musik dadurch ein Stück Individualität verloren, wenn Vergleiche wie beispielsweise die Versionen von „Gimme Shelter“ mit Merry Clayton oder Lisa Fisher nicht mehr möglich sind. Und wie groß dieser Verlust ist, zeigt die konventionelle, oscar-prämierte Dokumentation von Morgan Neville auf sehr unterhaltsame Weise.
 

20 Feet from Stardom (2013)

Am Anfang von Morgan Nevilles unterhaltsamer Dokumentation „20 Feet From Stardom“ erklingt „and the colored girls sing / doo, da-doo, da-doo, doo, doo doo doo …“ aus Lou Reeds „Walk on the Wild Side“. Diese kontroversen Zeilen verweisen bereits auf die folgenden Themen: Es wird um Backgroundsängerinnen gehen, ohne deren „doo, da-doo“ dieses Lied sicher kein Hit geworden wäre, viele von ihnen sind Afro-Amerikanerinnen – und kaum bekannt.

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