Die guten Feinde

Eine Filmkritik von Marie Anderson

Eine bewegende Rehabilitation der "Roten Kapelle"

Nein – bei aller augenscheinlichen Fülle der vielfältigen Materialien über die unsagbar schreckliche Zeit des Nationalsozialismus ist noch nicht einmal annähernd alles Banale und Bedeutsame darüber berichtet und erzählt. Denn obwohl die direkten Zeitzeugen seitdem schwindend dem Prozess des Ablebens anheimfallen, beschäftigen sich auch die nachfolgenden Generationen nicht selten aus familiären Gründen mit dieser fortlaufend schwelenden Thematik. Mit seinem Dokumentarfilm Die guten Feinde hat der Filmschaffende Christian Weisenborn, geboren 1947, dieses Terrain um ein ganz besonderes Werk bereichert.
Erzählt wird die Geschichte des gesellschaftskritischen Schriftstellers, Theaterdichters und Vaters des Filmemachers Günther Weisenborn (1902-1969), der sich im nationalsozialistischen Berlin mit dem Publizisten und Offizier Harro Schulze-Boysen und seiner Frau Libertas, einer Filmkritikerin, anfreundet; mit ihr verfasst er später gemeinsam und erfolgreich das Theaterstück Die guten Feinde. Dadurch gerät Günther Weisenborn in jene sozial und politisch äußerst umtriebigen Kreise kommunistisch orientierter, lebensfroher Humanisten, die von der Gestapo später als „Rote Kapelle“ betitelt und verfolgt werden. Hier lernt der später am Schiller-Theater als Dramaturg beschäftigte heimliche Widerständler auch seine baldige Frau Margarete Schnabel kennen: Er nennt sie Joy, sie nennt ihn Pit, und dieses Liebespaar entgeht durch günstige Umstände haarscharf dem Unrechtssystem der Nazis, während Libertas und Harro Schulze-Boysen sowie weitere Freunde am 22. Dezember 1942 besonders grausam erhängt und enthauptet werden.

Nach dem Krieg werden die Söhne Christian und Sebastian geboren, die eine unbeschwerte Kindheit erleben, doch Vater Günther Weisenborn gelingt es zeit seines Lebens nicht mehr, seine Freunde von der „Roten Kapelle“ zu rehabilitieren, die im Nachkriegsdeutschland und im Zuge des so genannten Kalten Krieges abscheulich diffamiert werden. Dabei spielt der einstige Oberstaatsanwalt Hitlers, Manfred Roeder, der die Gruppe um die Schulze-Boysens verurteilt hatte, eine tragende Rolle. Erst 2009 werden seine teils tödlichen Urteile gegen diese Menschen offiziell vom Deutschen Bundestag aufgehoben. So wird die verleumderische Legende über die „Rote Kapelle“, an der sich auch das Nachrichtenmagazin Der Spiegel eifrig beteiligte, erst spät korrigiert. Auch wenn mittlerweile etwa in Ausstellungen und Publikationen eine Rehabilitation dieser Widerstandsorganisation auf den Weg gebracht wurde, stellt dieser Film diesbezüglich die stärkste und gleichzeitig charmanteste Ausprägung dar.

Doch dieser höchst politsche Topos, der wiedrum von fehlerhaft, unzureichend und nicht bewältigten Vergangenheiten zeugt, ist innerhalb der dokumentarischen Erzählung Christian Weisenborns nur eine spannende Geschichte innerhalb vieler. Die guten Feinde, der den beinahe heiter anmutenden Untertitel Mein Vater, die Rote Kapelle und ich trägt, zeichnet sich zuvorderst durch seine ganz eigenwillige Gestaltung von zutiefst ambivalenten Stimmungen aus, die jenseits moralischer Attacken auf das Publikum von jener extremen historischen Zeit und ihren nachhaltigen Auswirkungen zeugen. Der Sohn und Regisseur wagt es, vom Leben seiner Eltern eingebettet mit erstaunlicher Leichtigkeit und doch auch berührender Intensität in diesen molochhaften Kontext einzutauchen, so dass die exaltierte Lebensfreude jener Tage schonungslos mit dem ganz großen Grauen konfrontiert wird.

Es ist dem Filmemacher gelungen, so einige Nachkommen der damaligen Protagonisten vor der Kamera sprechen zu lassen, was in Kombination mit Archiv-Bildern zu einer lebendigen, aktuellen neuen Perspektive gerät. Darüber hinaus beschwört der Dokumentarfilm die markante Musik und Poesie dieser Epoche abseits der deutschen Bürgerlichkeit, die bereits Beziehungsformen feiert, die teilweise heute noch als avantgardistisch gelten. Waren es auch politische Widerstandskämpfer, die als „Rote Kapelle“ gefassten Menschen, waren es doch zugleich Persönlichkeiten mit provokantem Lebensstil, die allerdings ihre mitunter privilegierten gesellschaftlichen Positionen konsequent ihrer humanistischen Grundhaltung opferten. Dass ihre Leidenschaften sowie auch ihre Sorgen, Ängste und Kämpfe gleichermaßen Raum finden, lässt Die guten Feinde in seiner ganz hervorragenden Dramaturgie zu einem großartigen Dokumentarfilm werden, der bedeutende neue Erkenntnisse markiert, ungewöhnliche historische Lektionen anbietet und nachhaltig berührt.

Die guten Feinde

Nein – bei aller augenscheinlichen Fülle der vielfältigen Materialien über die unsagbar schreckliche Zeit des Nationalsozialismus ist noch nicht einmal annähernd alles Banale und Bedeutsame darüber berichtet und erzählt. Denn obwohl die direkten Zeitzeugen seitdem schwindend dem Prozess des Ablebens anheimfallen, beschäftigen sich auch die nachfolgenden Generationen nicht selten aus familiären Gründen mit dieser fortlaufend schwelenden Thematik.
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