Die Geträumten (2016)

Eine Filmkritik von Patrick Holzapfel

Eine un/mögliche Geschichte von Liebe

Die Geträumten von Ruth Beckermann ist ein Film über Sprache und Sprachlosigkeit. Wir sehen feuchte Augen und hören schweres Schlucken im Angesicht von Worten, die manchmal gar nicht abgeschickt wurden, die Unfassbarkeit einer Fiktion der Liebe, die so dringlich und echt ist, dass man die Seelen darunter beben hört. Es ist eine zitternde Großtat von einer Regisseurin, die sich normalerweise mit deutlich offeneren Formen beschäftigt. In Zentrum von Die Geträumten geht es um den Briefwechsel zwischen Ingeborg Bachmann und Paul Celan. Diesen hat Beckermann mit Hilfe von Ina Hartwig auf eine Essenz verknappt, die man als eine unmögliche Liebesgeschichte oder eine mögliche Geschichte von Liebe verstehen kann.

Den Fillm bei Vimeo schauen

Externen Inhalt ansehen?

An dieser Stelle möchten wir Ihnen ein externes Video von Vimeo präsentieren. Dafür benötigen wir Ihre Zustimmung in die damit verbundene Datenverarbeitung. Details in unseren Angaben zum Datenschutz.

Zustimmen und ansehen

Die Kamera beobachtet, ja umgarnt zwei Darsteller, die diese Texte in einem Tondstudio einsprechen. Als Sprecherin von Ingeborg Bachmann agiert die als Soap&Skin bekannte Musikerin Anja Plaschg, die bereits in Stillleben von Sebastian Meise eine fragile Intimität durch jeden Blick hindurchstrahlen ließ. Ihre Stimme und ihre Offenheit gegenüber den Worten erzeugt eine derart faszinierende Präsenz, dass Ergriffenheit hier nicht zur bloßen Schau verkommt, sondern sich immer dann findet, wenn ein Zwischenraum entsteht. Das liegt auch an ihrem Partner, Laurence Rupp als Sprecher von Paul Celan, der nur auf den ersten Blick deutlich weniger intuitiv an die Sache herangeht. Für ihn ist die Sprache, das Zuhören, die Reaktion auch ein Spiel des Machtloswerdens und so drückt sich der Schmerz von Celan, der 1970 Selbstmord beging, mehr und mehr auch durch seine Gesten und Worte. Die Geträumten filmt die beiden Sprecher auch zwischen den Aufnahmen. Man geht in die Kantine, man spricht über Tattoos, man besucht eine gleichzeitig stattfindende Orchesterprobe. Es ist ein konzentrierter Prozess, der sich öffnen will und es ist einer der besten deutschsprachigen Filme über Schauspiel, die es gibt.

Durch den Bruch der Dynamik und Energie der Stimmen und sinnlich gefilmten Gesichter, die manchmal aus Raum und Zeit fallen, um einen Glauben an Liebe zu manifestieren, den es so überzeugend lange nicht gab, erreicht Beckermann zwei Dinge: Zum einen offenbart sie, dass diese Worte in all ihrer Schönheit und Brüchigkeit letztlich auch eine Liebe herbeischrieben. Es ist etwas, das es vielleicht gar nicht gab — eine Fiktion. Und daher ist das Aufbrechen derselben durch die Art und Weise, in der das Einsprechen dokumentiert wird und es zu einem Schauspielprojekt macht, eine überaus konsequente und elegante Lösung. Aber in der Fiktion, also in den Körpern, die diese herbeiführen, entwickelt sich ein Verständnis und ein Nach-Fühlen, das nicht nur einen Umgang mit Text dokumentiert, sondern letztlich auch ein Umgehen mit dem Entzücken und dem Rausch, dem Schmerz und der Unsicherheit der Gefühle.

Die Übergänge sind dabei derart fein montiert und ausgewählt, dass aus der scheinbaren Banalität des Wartens, Pausierens, Rauchens oder Herumstreunens ein Dialog mit dem Text entsteht, der wie das Tonstudio selbst zu einem Resonanzraum wird. Ein Echo ist es, das den Umgang von Beckermann mit dem Text am besten beschreibt, denn die Art, wie dieser eingelesen und auf seine Emotionalität hin durchgelebt wird, zielt auf eine Vergegenwärtigung von etwas, das sich vielleicht gar nicht darstellen lässt. Und Beckermann gelingt dieses Kunststück in einem atmenden Film, der zeigt, dass man nicht ersticken muss, um die Luft anzuhalten.

Bachmann und Celan sind moderne Liebende, die es eigentlich nicht geben konnte. Ihr Vater war bei der NSDAP, Celans Eltern kamen in einem Konzentrationslager ums Leben. Es sind Fremde in der Liebe, die bei ihnen so bald nach dem Krieg begann. Diese Fremdheit und Unvereinbarkeit ist im Film aber keine, die sich anders gestalten würde als dies bei jeder anderen Liebe auch möglich wäre. Und in diesem Ansatz liegt auch die Stärke des Films, die einen nur sehr schwer kühl lassen kann. Denn hier wird ein Dialog zwischen dem Subjektiven und Zeitlosen dokumentiert, der nichts behauptet, sondern einfach nur zulässt.
 

Die Geträumten (2016)

„Die Geträumten“ von Ruth Beckermann ist ein Film über Sprache und Sprachlosigkeit. Wir sehen feuchte Augen und hören schweres Schlucken im Angesicht von Worten, die manchmal gar nicht abgeschickt wurden, die Unfassbarkeit einer Fiktion der Liebe, die so dringlich und echt ist, dass man die Seelen darunter beben hört. Es ist eine zitternde Großtat von einer Regisseurin, die sich normalerweise mit deutlich offeneren Formen beschäftigt. In Zentrum von Die Geträumten geht es um den Briefwechsel zwischen Ingeborg Bachmann und Paul Celan.

  • Trailer
  • Bilder

Meinungen

daniel scheiermann · 11.10.2016

treumen sie etwa?