Code of Survival

Eine Filmkritik von Simon Hauck

What A Wonderful World

„Eigentlich sollte man sich den besten Anzug anziehen, wenn man auf den Acker geht, weil man Ehrfurcht vor dem Boden haben muss, denn er ist unsere Lebensgrundlage. Und wenn diese tausenden und Millionen oder Milliarden Mikroorganismen nicht mehr für uns arbeiten, wovon wollen wir dann leben?“ Franz Aunkofer, der zur ersten Biobauern-Generation in Deutschland gehört, ist ein Mann der klaren Worte – und zudem einer der stärksten Protagonisten in Bertram Verhaags (Der Bauer und sein Prinz, Gekaufte Wahrheit, Leben außer Kontrolle) neuestem ökologischen Dokumentarfilm Code of Survival – Die Geschichte vom Ende der Gentechnik.
Aunkofer war es nämlich, der in Bayern – trotz mancher Widerstände – den lange vergessenen Dinkel wieder auf seinen Ackerbauflächen kultivierte. Er war es auch, der als erster Schweinezüchter auf Bio-Mast umsattelte: Mitten in Niederbayern als echter Pionier zu Hause auf seinem Hof in Herrnsaal bei Kelheim, wo er mit diesem radikalen Schritt in der eigenen Betriebsgeschichte anfangs nicht nur positive Reaktionen aus seinem Umfeld erntete. Niemals würde er auch nur einen Tropfen der inzwischen oftmals inflationär eingesetzten Pflanzenschutz- und Wachstumsmittel auf seinen Böden einsetzen. Denn „den Stickstoff kann man nicht essen, der in der Industrie erzeugt wird. Wir leben davon, dass der Boden Pflanzen hervorbringt, die für unsere Ernährung gut sind.“

Der sympathische, aber eigenwillige Bio-Landwirt versteht sich als Überzeugungstäter: Als einer, der sich den ökonomisch, finanziell und politisch bestens vernetzten Agrar-Multis und global agierenden Chemie-Konzernen ganz bewusst in den Weg stellt, wie das im Grunde auch bei Bertram Verhaag der Fall ist: Seit 1976 – und mit inzwischen über 120 langen und kurzen Filmen aus dem Themenkreis Ökologie, Landbau und Viehzucht – kämpft er als Regisseur, Autor und Produzent in Personalunion gegen den wirtschaftlichen Raubbau wie die massive Verseuchung der Erde an: Zum Wohle der Menschheit, wenn das im ersten Moment auch extrem pathetisch und im selben Zuge ein Stück weit weltfremd klingen mag. Aber der Münchner Filmemacher und ehemalige Soziologie- und Volkswirtschaftsstudent meint es auf jeden Fall ernst!

Code of Survival – Die Geschichte vom Ende der Gentechnik ist schließlich bereits der zehnte Film, der sich neben den vertrauten Verhaagschen Themen vor allem im ersten Drittel entschieden gegen das US-amerikanische Landwirtschaftsmodell, das massenhaft auf Gentechnikverfahren und hochgefährliche Pestizide, Herbizide und Co. setzt, in Stellung bringt.

Was schnell zu didaktisch, zu wissenschaftlich – und damit auch zu einschläfernd oder schlichtweg zu komplex für manchen Zuschauer – werden könnte, umgeht Verhaags Kamerateam um Waldemar Hauschild und Gerald Fritzen glücklicherweise gleich mehrfach besonders geschickt, indem es bildsprachlich ebenso deutlich auf Pathos und „Heile-Welt“-Einstellungen setzt. Wer hier also einen außerordentlich politisch konnotierten, gar avantgardistisch inszenierten Dokumentarfilm erwartet, sitzt prinzipiell im falschen Film. Dafür sind Verhaags Filme grundsätzlich einfach zu routiniert in Szene gesetzt: Sei es im Off-Kommentar des Regisseurs oder im reichlich unaufregenden Schnittrhythmus Hauke von Stietencrons und Corinna Lösels. Alles funktioniert hier recht lehrbuchmäßig: Auf einen klassischen gedrehten Antexter folgen rein funktionale Schnittbilder, auf die jeweils nächste Bauchbinde der jeweils nächste Routine-Umschnitt, bis das Ganze wiederum von einer ordentlichen Ton-Montage abgelöst wird. So weit, so erwartbar.

Trotzdem überdecken jene handwerklich hervorragenden beauty-shots auch so manchen, weniger gelungenen Musik-Einsatz aus der Feder von Sami Hammi: Hier wäre insgesamt weniger eindeutig mehr gewesen. Ebenso hätte sich der Münchner Filmemacher in Code of Survival – Die Geschichte vom Ende der Gentechnik sicherlich zum Grundverständnis seines sanft aufklärerischen Dokumentarfilms den ein oder anderen wiederum ziemlich unüberraschenden O-Ton-Geber (z.B. die omnipräsente Primatenforscherin Jane Goodall) sparen können. Aber sei’s drum. Immerhin hat auch diese neueste Bertram-Verhaag-Produktion eine klare Stoßrichtung, enthält sie doch viele erhellende Momente und vor allem eine Reihe in Europa noch weitgehend unbekannter Öko-Pionier-Projekte.

Anstatt nur ein weiteres Mal filmemacherisch gegen die scheinbare Allmacht von Monsantos Verkaufsschlager „Roundup“ mit seinem gleichermaßen berühmt-berüchtigten wie langfristig besonders verheerenden Wirkstoff „Glyphosat“ ins Feld zu ziehen, werden hier tatsächlich ebenso Mut machende wie innovative Vorzeige-Konzepte präsentiert, die im Gedächtnis des Zuschauers absolut hängenbleiben. Egal, ob beim nachhaltigen Tee-Anbau am Rande des Himalayas in Indien oder im Falle der Fruchtbarmachung staubtrockenen Wüstenbodens im Rahmen des SEKEM-Projekts in Ägypten: Längst wäre ein komplett anderes, Ressourcen und Menschenleben schonenderes Landwirtschaften möglich, frei von Düngemitteln und Wachstumsbeschleunigern. Diese Ideen ließen sich dementsprechend auch weitgehend problemlos auf großflächige Agrarstaaten wie Brasilien, Südafrika oder die Türkei anwenden, meint beispielsweise der Sohn des SEKEM-Gründers Ibrahim Abouleish.

Code of Survival – Die Geschichte vom Ende der Gentechnik ist in jedem Falle ein engagiertes Filmprojekt, das deutlich mehr sein will als bloß eine Filmproduktion mit regulärem Kinostart. Es ist ein weiterer überaus wichtiger – und glaubwürdiger – Dokumentarfilm, der sich ausgehend von der aktuellen – und obendrein weltweiten – landwirtschaftlichen Ausnahmesituation konkret mit dieser durchaus komplizierten Thematik beschäftigt. Er will aufrütteln, an den gesunden Menschenverstand appellieren, das sieht man der vertrauten Handschrift seines Machers deutlich an. Andererseits kann er jedoch sowohl ästhetisch wie formal mit jüngeren Dokumentarfilmproduktionen ähnlicher Art (z.B. Bauer Unser oder Power To Change) keineswegs mithalten.

Trotz allem: Ein wichtiger Film. Ein typischer Bertram-Verhaag-Film eben, einer für „seine“ jahrzehntelange Fangemeinde, inklusive „bunte-Blümchen-Einstellungen“ und andererseits hoffentlich auch einer für ein breiteres, ökologisch weniger aufgeklärtes Publikum, das sicherlich nicht beim Bio-Bäcker um die Ecke einkaufen geht. Schließlich geht es hier um uns alle. Egal ob Bauer, Filmemacher oder Kritiker. Das muss man dem gesamten Projekt entschieden zugutehalten. Bertram Verhaag bleibt auch mit diesem Film ein sanfter Aufklärer und als Filmemacher gleichzeitig das giftigste Pestizid gegenüber der internationalen Agrarlobby: Gegenüber seinem grundanständigen Impetus ist wirklich kein Kraut gewachsen.

Code of Survival

„Eigentlich sollte man sich den besten Anzug anziehen, wenn man auf den Acker geht, weil man Ehrfurcht vor dem Boden haben muss, denn er ist unsere Lebensgrundlage. Und wenn diese tausenden und Millionen oder Milliarden Mikroorganismen nicht mehr für uns arbeiten, wovon wollen wir dann leben?“
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